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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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vordersten Spitze einer echten und potenziell explosiven Macht.
    Denn die Gärtner waren offenbar längst keine kleine, geographisch begrenzte Sekte mehr. Ihr Einfluss wuchs: Sie beschränkten sich keineswegs auf den Felsen Eden in Sinkhole, die benachbarten Dächer und ihre anderen Gebäude; vielmehr hatten sie Zweigstellen in anderen Plebs, ja sogar in anderen Städten. Außerdem hatten sie geheime Zellen in der Außenhölle und Sympathisanten auf allen Ebenen, sogar innerhalb der Konzerne. Die von den Sympathisanten zur Verfügung gestellten Informationen seien unentbehrlich, so Adam Eins. Nur dadurch sei es möglich, die Absichten und Bewegungen ihrer Feinde zu überwachen, zumindest bis zu einem gewissen Grad.
    Die Zellen wurden Trüffel genannt, weil sie unter der Erde lagen, selten und kostbar waren, weil man nie wissen konnte, wo als Nächstes eine auftauchen würde, und weil sie mit Schweinen und Hunden ausgehoben wurden. Wobei die Gärtner bestimmt nichts gegen echte Schweine und Hunde hatten, fügte Adam Eins eilig hinzu − nur gegen deren Versklavung durch finstere Mächte.
    *
    Auch wenn sie sich vor der Gärtnerschaft nichts hatten anmerken lassen, hatte Burts Verhaftung den Adams und Evas zugesetzt. Einige glaubten, das CorpSeCorps wollte mit ihnen den uralten Teufelspakt schließen − Informationen gegen Leben. Solche Geschäfte habe das CorpSeCorps doch gar nicht nötig, sagte Zeb bitter, denn wenn sie erst mit ihren erweiterten Verhörmethoden anfingen, würde man ohnehin auspacken. Wer weiß, wie viele verfängliche Lügen aus dem armen Burt herausgepresst worden waren, nebst Blut, Kot und Erbrochenem.
    Insofern rechneten die Adams und Evas jederzeit mit einer CorpSeCorps-Razzia auf dem Dachgarten. Sie bereiteten alles für die Notevakuierung vor, sie alarmierten die Trüffelzellen, die sie zuverlässig verstecken würden. Dann war Burt auf dem leeren Grundstück hinter dem Scales and Tails gefunden worden, mit Frostbrand und ohne seine lebenswichtigen Organe.
    »Es sollte wohl wie ein Mafiamord aussehen«, sagte Zeb in der Versammlung hinter dem Essigraum. »Ist aber nicht überzeugend: Die Mafia würde grundlos verstümmeln. Mehr zum Spaß.«
    Das Wort Spaß in diesem Zusammenhang sei respektlos von Zeb, sagte Nuala. Er habe das ironisch gemeint, sagte Zeb. Hebamme Marushka, die sich nur selten zu Wort meldete, sagte, Ironie werde ohnehin überbewertet. Derlei Überbewertung sei ihm unter den Gärtnern bislang noch nicht aufgefallen, sagte Zeb. Rebecca − inzwischen eine mächtige neue Eva, die Eva Elf der Nährstoffkombination − bat alle, sich zusammenzureißen und ihre Zungen zu zügeln. Uneinigkeit sei kein Fundament für ein stabiles Haus, sagte Adam Eins.
    Es entspann sich eine angeregte Debatte über die Entsorgung von Burts Leiche. Burt sei ein Adam gewesen, sagte Rebecca. Er habe es genauso verdient wie alle anderen Adams und Evas, im Heritage Park illegal kompostiert zu werden. Das wäre nur gerecht. Philo der Smog − der im Versammlungsraum meist nicht ganz so versmogt war wie draußen − wies darauf hin, dass das zu gefährlich sei: Was, wenn das CorpSeCorps Burts Leiche nur als Köder ausgelegt hatte und auf der Lauer lag, um zu sehen, wer sie einsammelte? Das CorpSeCorps wisse doch längst, dass Burt bei den Gärtnern gewesen sei, was hätten sie also davon, fragte Stuart der Schrauber. Der tote Burt sei vielleicht ein Wink vom CorpSeCorps an die Plebsbanden, ihre Unternehmungen straffer zu organisieren und Trittbrettfahrer auszumerzen, sagte Zeb.
    Na ja, sagte Nuala, wenn sie den armen Burt schon nicht kompostieren könnten, könne man ja vielleicht in der Nacht hingehen und einen symbolischen Löffel Erde über die Leiche streuen: Ihr persönlich wäre dann sehr viel leichter ums Herz. Burt, dieser Schweinefresser mit seinem Fleischatem, habe sie verraten, und er wisse nicht, weshalb man überhaupt dieses Gespräch führe, sagte Mugi. Sie möchten alle einen Augenblick in sich gehen und Burt in ihrem Herzen in Licht tauchen, sagte Adam Eins, worauf Zeb sagte, sie hätten den Kerl schon in so viel Licht getaucht, dass er längst brennen müsste wie ein Selbstmordattentäter in der Hähnchenbude. Zeb sei albern, sagte Nuala. Sie möchten alle über Nacht meditieren, vielleicht werde ihnen die Lösung dann als Vision erscheinen, schlug Adam Eins vor. In dem Fall, sagte Philo, werde er sich gleich mal ein Pfeifchen anstecken.
    Am nächsten Tag jedoch lag Burts Leiche nicht mehr

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