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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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töricht, die nicht daran teilhaben: Insofern müssen wir das Narrenabzeichen annehmen und mit Freuden tragen, denn gegenüber Gott sind wir allesamt Narren, ganz gleich, für wie klug wir uns halten. Ein Aprilfisch zu sein bedeutet, in aller Demut unsere eigene Einfalt anzunehmen und uns frohen Herzens die − zumindest materialistische − Absurdität einer jeden unserer spirituellen Wahrheiten einzugestehen.
    *
    Nun wollen wir gemeinsam über unsere Brüder, die Fische, meditieren.
    Lieber Gott, Du, der Du die großen und gewaltigen Meere mit ihren ungezählten Lebewesen geschaffen hast: Wir beten, dass Dein Auge auf den Bewohnern Deines Unterwassergartens, wo alles Leben entstanden ist, ruhen mag; und wir beten, dass keiner davon durch menschliches Tun von der Erde abhandenkommen muss. Lass den Meereslebewesen Liebe und Hilfe angedeihen in ihrem gegenwärtig prekären und qualvollen Zustand infolge der Erwärmung der Meere, der Schleppnetze und Fanghaken entlang des Meeresgrunds sowie der Schlachtung allen Lebens darin, den Lebewesen in den seichten Gefilden wie in den Tiefen einschließlich dem Riesenkraken; und denk an Deine Wale, die Du am fünften Tage geschaffen und ins Meer gesetzt hast, auf dass sie darin tollen; und lass vor allem dem Hai Deine Hilfe angedeihen, jenem missverstandenen und allzu oft verfolgten Tier.
    Wir gedenken der Großen Todeszone im Golf von Mexiko; der Großen Todeszone im Eriesee; der Großen Todeszone im Schwarzen Meer; der trostlosen Neufundlandbank, die einst von Kabeljaus wimmelte; dem Großen Barriereriff, das nun im Sterben begriffen ist, weiß gebleicht und bröckelnd.
    Erwecke sie wieder zum Leben, lass sie in Liebe erstrahlen und stell sie wieder her und vergib uns unsere
ozeanischen
Mordtaten und unsere Torheit, wenn sie von der falschen, hochmütigen und zerstörerischen Art ist.
    Und hilf uns in aller Demut, unsere Verwandtschaft mit den Fischen anzunehmen, die uns stumm und töricht erscheinen, denn aus Deiner Sicht sind wir alle stumm und töricht.
    Lasst uns singen.

 
    O HERR, WIE TÖRICHT IST DER MENSCH
     
    O Herr, wie töricht ist der Mensch,
    Wie flüchtig ist sein Schaffen,
    Du siehst ihn hasten, drängen,
    Hab und Gut zusammenraffen.
     
    Nicht selten zweifeln wir und tun
    Gar nichts zu Deiner Ehre,
    Der Himmel scheint uns öde und
    Das All erfüllt von Leere.
     
    Wir stürzen in Verzagtheit uns,
    Verfluchen unsere Tage,
    Wir leugnen Deine Existenz −
    Zumindest Deine Gnade.
     
    Vergib uns unsere Launen, Herr,
    Der trüben Worte viele,
    Wir wissen, dass wir töricht sind,
    und widmen uns dem Spiele.
     
    Alles, was an uns eitel ist,
    Die dummen Streitereien,
    Die kleinen Nöte, Qualen −
    Wir gestehen alles ein.
     
    Aprilfisch ist für uns der Tag,
    Den Hochmut auszumerzen,
    Und kindlich wie die Kinder
    Wollen lachen wir und scherzen.
    Wie wundersam ist Deine Welt,
    Wie gnadenreich und rein.
    Wir beten, dass Du auch
    Uns Narren gnädig mögest sein.
     
    Aus dem
Gesangbuch der Gottesgärtner

 
    37.
Ren. Jahr Fünfundzwanzig
     
    Ich muss eingenickt sein − die Klebezone macht müde −, denn ich träumte von Amanda. In ihrem Khakianzug kam sie über eine große Wiese mit verdorrtem Gras und lauter weißen Knochen auf mich zu. Geier flogen über ihrem Kopf. Aber sie sah, wie ich von ihr träumte, und sie lächelte und winkte mir zu, und dann wurde ich wach.
    Es war eigentlich noch zu früh zum Schlafen, also lackierte ich mir die Zehennägel. Starlite mochte die Krallenoptik mit den Spinnenseide-Verstärkern, aber für mich war das nichts, weil Mordis die Kombination hirnverbrannt fand, wie ein Kaninchen mit Spikes. Also hielt ich mich an die Pastellfarben. Mit frischem Nagellack fühlt man sich immer wie neu: Wenn einem jemand die Zehen ablecken will, sollte es sich für ihn lohnen. Während der Nagellack trocknete, schaltete ich per Video in das Zimmer, in dem ich mit Starlite zusammenwohne. Es tröstete mich, meine ganzen persönlichen Sachen vor Augen zu haben: meine Kommode, meinen RoboDog, meine Kostüme auf Bügeln. Ich konnte es kaum erwarten, wieder in mein normales Leben zurückzukehren. Nicht dass es sonderlich normal war. Aber ich hatte mich daran gewöhnt.
    Dann surfte ich etwas im Internet, suchte nach den Horoskopseiten, um zu sehen, was in der nächsten Woche auf mich zukam, denn wenn meine Tests in Ordnung waren, käme ich sehr bald aus der Klebezone raus. Wilde Sterne war meine Lieblingsseite: Die machten einem immer Mut, und das

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