Das Jahr der Flut
ein süßer Junge sein, wenn er einem gerade mal nicht auf die Nerven ging.
Zeb war unterwegs − er war in letzter Zeit kaum da. Lucerne blieb zu Hause; sie sagte, sie habe nichts zu feiern, und dieser Feiertag sei ohnehin bescheuert.
Es war mein erster Aprilfisch ohne Bernice. Als wir kleiner waren, bevor Amanda auftauchte, hatten wir immer zusammen ein Fischtörtchen dekoriert. Wir zankten uns die ganze Zeit wegen der Dekoration. Einmal hatten wir ein grünes Törtchen gebacken, mit Spinat gefärbt und mit Augen aus Mohrrübenscheiben. Es sah richtig giftig aus. Wenn ich an dieses Törtchen dachte, kamen mir fast die Tränen. Wo war Bernice jetzt? Ich schämte mich, dass ich so böse zu ihr gewesen war. Wenn sie nun tot war wie Burt? Wenn ja, war es teilweise meine Schuld. Hauptsächlich meine Schuld. Meine Schuld.
*
Amanda und ich liefen zurück zur Käsefabrik, und Shackie und Croze gingen mit − als Beschützer, wie sie sagten. Amanda lachte darüber und sagte, sie könnten ruhig mitkommen. Wir vier hatten uns wieder einigermaßen versöhnt, auch wenn Croze immer mal wieder zu Amanda sagte: »Du schuldest uns was«, und Amanda dann sagte, er solle sich verpissen.
Als wir zur Käsefabrik kamen, war es dunkel. Wir dachten schon, es gibt Ärger, weil wir so spät nach Hause kamen − Lucerne warnte uns ständig, wie gefährlich es draußen auf den Straßen sei −, aber wie sich herausstellte, war Zeb wieder da, und es gab schon wieder Streit. Wir gingen raus auf den Flur und warteten, denn beim Streiten nahmen sie immer unseren ganzen Wohnraum ein.
Der Streit war lauter als sonst. Ein Möbelstück fiel um oder wurde geworfen: Das war bestimmt Lucerne, weil Zeb nie mit Sachen warf.
»Worum geht’s?«, fragte ich Amanda. Sie horchte mit dem Ohr an der Tür. Was Lauschen anging, kannte sie nichts.
»Weiß nicht«, sagte sie. »Sie brüllt viel zu laut. Oder warte − sie sagt, er hätte was mit Nuala.«
»Doch nicht mit Nuala«, sagte er. »Niemals!« Jetzt wusste ich, wie sich Bernice gefühlt haben musste, als wir dasselbe über ihren Vater in die Welt gesetzt hatten.
»Wenn Männer die Gelegenheit haben, fangen sie mit jeder dahergelaufenen Tante was an«, sagte Amanda. »Jetzt sagt sie, er sei nichts als ein Zuhälter. Und dass er sie verachtet und wie Dreck behandelt. Jetzt heult sie, glaub ich.«
»Vielleicht sollten wir aufhören zu horchen«, sagte ich.
»Okay«, sagte Amanda. Wir blieben so stehen, den Rücken gegen die Wand, und warteten, bis Lucerne aufhörte zu heulen. Es war jedes Mal dasselbe. Als Nächstes würde Zeb mit stampfenden Schritten aus dem Zimmer kommen und die Tür hinter sich zuknallen, und wir würden ihn mehrere Tage lang nicht zu Gesicht bekommen.
Zeb kam aus dem Raum. »Adieu, Königinnen der Nacht«, sagte er. »Bleibt sauber.« Er machte seine Späße mit uns wie immer, aber er sah verbittert aus.
*
Nachdem sie sich gestritten hatten, ging Lucerne meistens ins Bett und heulte, aber an diesem Abend fing sie an, eine Tasche zu packen. Die Tasche war ein rosafarbener Rucksack, den Amanda und ich aufgelesen hatten. Viel zum Packen hatte Lucerne nicht, also war sie bald fertig und kam in unsere Kabine.
Amanda und ich stellten uns schlafend auf unseren hülsengefüllten Futons unter den Jeansdecken. »Steh auf, Ren«, sagte Lucerne zu mir. »Wir gehen.«
»Wohin?«, fragte ich.
»Zurück«, sagte sie. »In den HelthWyzer-Komplex.« »Jetzt sofort?«
»Ja. Was guckst du denn so? Das hast du dir doch immer gewünscht.«
Es stimmte, dass ich mich früher nach dem HelthWyzer-Komplex zurückgesehnt hatte. Ich hatte Heimweh danach gehabt. Aber seit Amanda bei uns eingezogen war, hatte ich kaum einen Gedanken daran verschwendet.
»Kommt Amanda mit?«, fragte ich.
»Amanda bleibt hier.«
Mir war sehr kalt. »Ich will aber, dass Amanda mitkommt«, sagte ich.
»Kommt nicht in Frage«, sagte Lucerne. Es war anscheinend noch mehr passiert: Lucerne hatte sich von ihrem Zauberbann befreit, vom Zauber des Zeb. Sie hatte den Sex abgelegt wie ein weites Kleid. Plötzlich war sie forsch, entschlossen, sachlich. War sie ganz früher auch so gewesen? Ich konnte mich kaum erinnern.
»Warum?«, fragte ich. »Warum kann Amanda nicht mitkommen?«
»Weil sie bei HelthWyzer nicht reinkäme. Unsere Ausweise kriegen wir zurück, aber sie hat ja nicht mal einen, und ich habe ganz bestimmt kein Geld, um ihr einen zu kaufen. Sie wird doch hier gut versorgt«, fügte sie hinzu, als wäre
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