Das Jahr der Kraniche - Roman
Jan freute sich wirklich, Hanno in diesem Moment zu sehen. Er musste es einfach jemandem sagen. »Wir kriegen ein Kind, Hanno. Du wirst quasi Stiefgroßvater oder so was Ähnliches.«
Hanno war überwältigt. Es war ihm, als würde die Sonne plötzlich noch heller scheinen. Und die Vögel in den Bäumen, jubilierten sie nicht aus vollen Kehlen? Er zog Jan an sich, drückte ihn fest.
»Was für eine wunderbare Neuigkeit.« Er küsste Laura auf die Wange. »Du hast keine Ahnung, wie glücklich du einen alten Mann machst. Ich verspreche, ich werde eurem Kind ein toller Opa sein. Oder so was Ähnliches.«
»Du musst dich genauso um sie– oder ihn– kümmern, wie du es um mich getan hast. Du musst ihm alles über den Wald erzählen und über die Tiere. Über die Sterne und über die bösen Nixen im See.«
Sie malten sich aus, wie sie das Kind, das bald im Jägerhaus wohnen würde, aufziehen wollten, und stritten sich prompt darüber, in welchem Alter es Rad fahren oder schwimmen lernen sollte. Ob es in einen Kindergarten gehen oder lieber den ganzen Tag an Hannos Seite in der Natur verbringen sollte. Sie redeten über Sandkästen und Schwimmflügel, über Osternester, die das Kind in den blühenden Wiesen suchen sollte, und über Weihnachtsbäume, die es gemeinsam mit Hanno und Jan im Wald aussuchen würde. Das Bild, das entstand, glühte vor Glück und Heiterkeit. Nie würde es ein glücklicheres, zufriedeneres, behüteteres Kind geben als das von Laura und Jan.
Laura saß in einem Sessel und lauschte den Plänen der beiden Männer. Sie berührte ihren Bauch.
Hörst du das? Du wirst ein supertolles Leben haben, kleiner Wurm.
Sie spürte Jans lächelnden Blick auf sich und war von Glücksgefühlen erfüllt. »Guter Hoffnung sein«, was für eine treffliche Beschreibung ihres Zustands. Ja, sie war voller Hoffnung, dass alles gut werden würde. Ihr Leben hatte eine gänzlich neue Perspektive bekommen.
IV. – August
1
Sie rannte in heller Panik durch den Wald, stolperte über Wurzeln, stieß sich an Ästen, versank in dem morastigen Boden. Ihr schwerer Bauch schwang vor ihr auf und ab wie ein Medizinball. Sie drohte das Gleichgewicht zu verlieren und zu stürzen. Aber sie durfte nicht stürzen, sie musste weiter, raus aus dem Wald. Ihr keuchender Atem dröhnte ihr in den Ohren. Das Herz schlug zum Zerspringen. Sie hörte die Schritte hinter sich näher kommen. Sie war schneller. Sie hörte ihren Atem.
»Bleib stehen.«
Nein, nur nicht stehenbleiben. Da, die Kraniche, sie schwangen sich direkt vor ihr in die Lüfte. Ihr Schrei ließ die Luft vibrieren. Es klang wie ein höhnisches, bösartiges Lachen.
»Ich will dir doch nichts tun. Warte, Laura!«
Jetzt war sie direkt hinter ihr.
»Hilfe!« Da musste doch jemand sein. Irgendjemand musste kommen, um sie zu retten. Dort, zwischen den Bäumen, die Gestalt– das war doch Jan. Oder was es Marius?
»Hilfe! Hier bin ich. Hilf mir, bitte!«
Die Gestalt wandte sich ihr zu. Jan. Es war Jan.
»Jan, hilf mir!«
Gott sei Dank, er erkannte sie. Jan kam auf sie zu, flog geradezu zwischen den Bäumen durch.
»Da bin ich. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.«
Sein Gesicht. Was war mit seinem Gesicht? Es veränderte sich. Seine Augen… Das Blau wurde immer intensiver. Jetzt sprühte es goldene Funken. Das war nicht Jan. Das war sie. Das war Julia.
»Du bist tot. Du kannst gar nicht hier sein.«
Ihr rotes Kleid glühte wie Feuer. Die Hand, die nach ihr griff, was war mit ihr? Es war die Hand eines Skeletts. Sie hielt ein Messer umklammert, ein riesiges, glänzendes Metzgermesser.
»Es ist gleich vorbei. Sei ganz ruhig. Gleich wirst du deine Last loshaben.«
Laura drehte sich um. Julia stand schon vor ihr. Laura drehte sich nach allen Seiten, aber die Frau war überall. Jetzt. Sie griff nach ihr. Die Skeletthand war eisig kalt. Laura erstarrte. Sie hatte verloren, konnte sich nicht wehren. Das Messer schlitzte ihren Bauch auf.
»Mein Baby! Nimm es mir nicht weg!«
Die Frau hatte das blutüberströmte Kind in ihren knochigen Armen und verschwand mit ihm im Nebel des Waldes. Laura fühlte mit ihren Händen das riesige Loch in ihrem Bauch. Das Blut strömte wie ein Wasserfall aus ihr heraus.
Jan hörte Lauras Schrei. Er raste die Treppe hinauf und riss die Schlafzimmertür auf. Laura saß im Bett, ihre Blicke irrlichterten durch das Zimmer. Das Haar hing ihr verschwitzt ins Gesicht. Sie presste die Hände auf den Bauch.
»Laura, wach auf!«
Jan nahm sie in die
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