Das Jahr der Kraniche - Roman
Gummistiefel hatte er auch noch nicht gesehen. Der Hund lief auf sie zu, umsprang sie einen Moment lang. Sie streichelte ihn lächelnd und setzte ihren Weg zum Haus fort.
Ihr Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte, glänzte in der Sonne wie Rabenfedern. Ihr Gesichtsausdruck war entspannt, ihr Schritt entschlossen. Jetzt kam sie zur Terrasse herauf.
»Jan.«
Er zögerte.
»Da bist du ja.«
Sie kam durch die Terrassentür herein. Im Gegenlicht wirkte sie schmal und zerbrechlich. Die Sonne zeichnete eine Aureole aus Gold um sie.
»Ich hab mir Sorgen gemacht. Wegen des Gewitters.«
»Das tut mir leid. Es hat mich im Wald erwischt. Aber ich hab es gut überstanden.«
Sie standen voreinander, verlegen und unschlüssig. Nicht über das Gewitter wollten sie reden. Es gab Wichtigeres. Wenn sie nur gewusst hätten, wie sie anfangen sollten.
»Elke war hier, nicht wahr?«
Er nickte. Und dann sprachen sie beide gleichzeitig.
»Sie hat es dir erzählt.«
»Sie hat mir etwas erzählt.«
Sie brachen ab, sahen einander an, und jeder wartete darauf, dass der andere fortfahren würde. Der Moment zog sich hin. Dann nahm Laura Jans Hand.
»Ich hätte es dir selbst sagen wollen. Aber… vielleicht ist es ja auch egal, wer wem wann was sagt. Das Wichtigste ist doch der Inhalt.«
Sie holte tief Luft.
»Wir bekommen ein Baby, Jan.«
Ihr Blick war fragend und unsicher. Wieso schaut sie so bekümmert?, fragte er sich. Nur, weil ich es schon von Elke weiß?
Wieso sagt er nichts? Es kann doch nicht sein, dass er sich nicht freut.
Alles, was an Freude in ihr gewesen war, wurde jetzt von Unsicherheit überwölbt. Da standen sie, und sie fühlte sich auf einmal so fremd. Er zog seine Hand aus der ihren. Ihr war, als würde er nicht nur ihre Hand loslassen, sondern auch sie selbst. Ihre Knie wurden weich. Sie hatten nicht darüber geredet, ob sie Kinder haben wollten. Es war so schnell so viel zwischen ihnen passiert, dass sie gar nicht dazu gekommen waren, dieses wichtige Thema anzuschneiden.
»Du willst keine Kinder.«
Wenn das wirklich so war, würde sie… Was würde sie denn? Überlegen müssen? Weggehen? Das Kind wegmachen lassen? Verzichten? Sie hatte sich nie ein Leben mit Jan allein vorgestellt. Von dem Augenblick an, als er sie gefragt hatte, ob sie seine Frau werden würde, und sie Ja gesagt hatte, war sie davon ausgegangen, dass sie beide eine Familie wollten. Mit einem, zwei oder drei Kindern. Es hatte für sie überhaupt keinen Zweifel daran gegeben, dass sie beide dieselbe Idee von ihrer Zukunft hatten. Wie hatte sie sich so täuschen können?
»Wie kannst du denken, dass ich keine Kinder will?« Es war wie eine Erlösung, als er sie an sich zog. »Natürlich will ich Kinder. Zwei. Oder fünf. Oder von mir aus auch sieben. Und jedes soll so aussehen wie du.« Er küsste sie auf die Wangen, auf die Lider, auf den Mund. »Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als einen Haufen kleiner Mädchen um mich zu haben, die so schön und so fröhlich und so lebenslustig sind wie du. Natürlich freu ich mich auf unser Kind. Laura, das ist so eine wunderbare Neuigkeit!«
Und jetzt fühlte sich endlich wieder alles richtig an. Laura lag an Jans Brust. Sie führte seine Hand zu ihrem Bauch.
»Zum vierten Geburtstag bekommt es ein Pony. Und du wirst ihm das Reiten beibringen. Und wir werden…«
»Zum vierten schon? Du bist wohl verrückt. Das ist viel zu gefährlich. Ich werde nicht zulassen, dass sich mein Kind vor dem achtzehnten Lebensjahr auf ein Pferd setzt.«
Sie lachte laut auf. Er würde sein Kind lieben, es behüten und niemals zulassen, dass ihm irgendetwas Schreckliches geschah.
Der Hund rannte plötzlich bellend davon. Seine Stimme überschlug sich vor Begeisterung. Sie traten auf die Terrasse und sahen Hanno herankommen, den Shadow mit wilden Sprüngen umtanzte.
»Ist ja gut, du Verrückter. Jetzt beruhige dich. Du tust ja so, als hätten wir uns wochenlang nicht gesehen.« Es war offensichtlich, dass Hanno sich über die überbordende Zuneigung des Hundes freute.
»Hallo, ihr beiden. Ich störe wohl.«
Es war ihm wie immer peinlich, in Lauras und Jans Privatleben zu platzen. Zurückhaltend wie er war, hätte er immer am liebsten vorher angerufen, um sein Kommen anzukündigen. Aber natürlich wusste er auch, dass so ein Anruf seinem Kommen mehr Bedeutung zumessen würde, als nötig war, und so befand er sich jedes Mal in einer Zwickmühle, wenn er Jan sprechen wollte.
»Du kommst wie gerufen.«
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