Das Jahr der Kraniche - Roman
angegossen.
»Da bist du ja, Elke.«
Marius hatte sie entdeckt. Er kam aus der Tür.
»Hat dich das Gewitter auch erwischt? Laura und ich sind mitten hineingeraten. Wir waren sofort nass bis auf die Haut.«
Elke lachte, als sie Laura in ihrer Bluse sah.
»Steht dir super. Von mir aus kannst du sie behalten. Oder, Marius? Laura sieht tausendmal besser in dem Teil aus als ich.«
Sie machte Tee und erzählte derweil, dass sie das Gewitter im Jägerhaus abgewartet hatte. Zusammen mit Jan, der sich große Sorgen machte, weil er Laura irgendwo im Wald wähnte.
»Allein! Aber das warst du ja nicht.«
»Gott sei Dank. Ohne Marius hätte ich mich wahrscheinlich zu Tode gefürchtet. Oder ich wäre vom Blitz erschlagen worden. Jedenfalls wäre ich niemals auf die Idee gekommen, in einem Graben das Gewitter abzuwarten.«
Das Angebot, Jan anzurufen und ihm Bescheid zu sagen, lehnte sie ab. Sie schlüpfte in trockene Gummistiefel, die Elke ihr auch noch lieh, schwang sich auf Flora, die sich inzwischen beruhigt hatte, und ritt davon. Sie wollte jetzt nur noch schnell nach Hause. Sie hatte Jan eine Menge zu erzählen.
Elke warf Lauras Sachen in die Waschmaschine.
»Gut, dass du zufällig in der Nähe warst.«
Marius erzählte ihr von Jette. Und dass Laura ihn alarmiert hatte. Dass Jette Angst um Laura hatte, sagte er Elke nicht.
Auch nicht, als sie darüber rätselte, was die alte Frau allein im Wald zu suchen hatte.
»Hauptsache, Laura ist nichts passiert. Und ihrem Kind auch nicht. Jan würde es nicht überleben, wenn er sie auch noch verlieren würde.«
»Laura ist nicht Julia. Ich denke, Jan wird sie so schnell nicht mehr los werden. Sie ist zäh und wild entschlossen, an seiner Seite glücklich zu werden.«
Elke sah ihn nicht an, als sie sagte: »Das war Julia damals auch. Und du weißt, was dann passiert ist.«
Ich weiß es?, schoss es Marius durch den Kopf. Wir haben doch alle keine Ahnung, was wirklich geschehen ist. Sie ist einfach abgehauen. Nur das wissen wir. Und sie ist nicht dort angekommen, wo sie ankommen wollte. Costa Rica jedenfalls hatte niemals zu ihrem Plan gehört.
Sie hatte ihm nicht gesagt, dass sie schwanger war. Jan hatte sich vor Elke noch locker gegeben. Es ging niemanden etwas an, was er fühlte. So sehr er sich darauf freute, Vater zu werden, so unruhig war er, wenn er an Laura dachte. Er fragte sich, ob sie das Kind überhaupt haben wollte. Vielleicht hatte sie ja vor, heimlich abzutreiben, ihm weder zu erzählen, dass sie ein Kind erwartete, noch, dass sie es nicht haben wollte. Grübelnd saß er am Schreibtisch. Der See lag nach dem Gewitter blank und ruhig da. Ein Entenpaar schwamm quer über den See, vier gelbe Küken paddelten eifrig hinter ihm her, eine lange Linie im Wasser hinter sich herziehend. Auf dem frisch gemähten Rasen stocherte ein Wiedehopf mit seinem gebogenen Schnabel nach Insekten.
»Upupupu.« Sein Ruf lockte ein kleineres Weibchen herbei, das sofort anfing, den Boden abzusuchen. Ihre Jungen mussten mindestens zehn Tage alt sein; vorher hatte das Weibchen die ganze Zeit auf dem Nest gesessen, während das Männchen allein nach Nahrung für den immer hungrigen Nachwuchs zu suchen hatte. »Upupupu.« Seit er denken konnte, war der hohle Klang des Wiedehopfrufs für Jan untrennbar mit dem Sommer verbunden. Und wenn sich die Paare im August nach Süden aufmachten, wusste er, dass der Sommer bald vorbei sein würde. Als die Vögel mit vollen Schnäbeln in ihrem immer ein wenig unbeholfen aussehenden Flug in dem alten Apfelbaum verschwanden, den Jans Großvater zur Geburt seines Sohnes gepflanzt hatte, nahm Jan das Fernglas, das im Regal stand, zur Hand. Tatsächlich hatte der Wiedehopf in den Zweigen des Apfelbaums sein Nest gebaut, aus dem hungrige Schnäbel gelb hervorleuchteten. Die beiden Altvögel stopften die Insekten in die Mäuler ihres Nachwuchses, um sofort wieder davonzufliegen, um aufs Neue nach Futter zu suchen. Jan ertappte sich dabei, die Vögel um die Selbstverständlichkeit zu beneiden, mit der sie ihrer Aufgabe nachkamen. Einfach tun, nicht denken. Würden er und Laura genauso instinktsicher und bedingungslos ihre Aufgabe als Eltern übernehmen?
Der Hund kam über den Rasen gerannt. Aufgedreht sprang er auf die Wiedehopfe zu, die ihm in kleinen flatternden Sprüngen auswichen und sich ein paar Meter weiter wieder niederließen, um ihre Futtersuche fortzusetzen. Jetzt sah Jan Laura herankommen. Was trug sie für eine Bluse? Und die blauen
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