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Das Jahr der Kraniche - Roman

Das Jahr der Kraniche - Roman

Titel: Das Jahr der Kraniche - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Aber umgekehrt wollte er das auf keinen Fall. Er kam zurecht. Er war selbstständig. Wie er sein Leben führte, war seine Sache. Niemand, auch nicht seine Tochter, hatte sich da einzumischen.
    »Dieser Hund da vor Jans Tür– kann es sein, dass er dir einen Schrecken eingejagt hat?«
    Hanno wusste, worauf Marius hinauswollte.
    »Seit wann hab ich denn ein Problem mit Hunden?«
    Marius spürte Hannos Abwehr. Natürlich musste auch ihm aufgefallen sein, wie sehr dieser Hund Pogo ähnelte. Die beiden Männer sahen einander nicht an, aber trotzdem wusste jeder von ihnen, was der andere dachte.
    »Auf jeden Fall solltest du es ein bisschen langsamer angehen lassen. So ein Zusammenbruch kann ein Warnsignal sein.«
    Hanno versuchte ein Grinsen.
    »Ein Warnsignal wofür? Dass ich alt werde? Das fällt mir jeden Morgen auf, wenn ich in den Spiegel sehe. Ich bin ein alter Mann, Marius. Und ich habe kein Problem damit.«
    Er gab seinem Schwiegersohn die Hand.
    »Mach dir keine Gedanken. Es ist alles in Ordnung mit mir.«
    Als Hanno das Sprechzimmer verlassen hatte, setzte sich Marius an seinen Schreibtisch. Sie taten alle so, als wäre alles in Ordnung. Dabei wusste er, dass in ihnen die Furcht hochkroch. Leise suchte sie sich einen Weg in ihr Herz und in ihre Sinne. Es würde etwas geschehen. Er wusste nicht, ob er die Kraft haben würde, es zu verhindern.
    Der See lag da wie ein dunkler Spiegel. Völlig glatt, nicht die kleinste Welle kräuselte seine Oberfläche. Das Rauschen der Bäume war verstummt. Ein makelloser Himmel spannte sich über Laura. Jan war nach dem Mittagessen weggefahren, um sich mit einem Schreiner zu treffen, der ein neues Regal in sein Arbeitszimmer einbauen sollte. Er hatte Laura gefragt, ob sie mitkommen wolle, aber sie hatte sich darauf gefreut, ein paar Stunden allein zu sein. Sie hatte sich im Haus umsehen, es sich vertraut machen wollen. Doch plötzlich waren ihr die Zimmer mit den dunklen Antiquitäten trotz ihrer Größe zu eng geworden. Sie hatte alle Fenster geöffnet und war aus dem Haus gegangen. Luft! Tief sog sie den Atem ein. Die Waldluft, die schon nach Bärlauch und jungem Grün duftete, vermischte sich mit der leichten Kühle, die vom See herkam.
    Es war still. Nicht einmal ein Vogel war zu hören. Nur ihre Schritte auf dem Steg, die sie unwillkürlich vorsichtiger, leichter setzte. Sie zog die Schuhe aus. Das Tappen ihrer nackten Füße machte ein weiches, kaum hörbares Geräusch, das in der Lautlosigkeit um sie herum verebbte.
    Als sie ins Wasser fiel, öffnete sich die schwarze Oberfläche für einen Moment. Lautlos sank sie in die Tiefe des Sees. Der schlammige Grund nahm ihren Körper auf und verschlang ihn.
    Laura schrak zusammen. Über ihre Haut jagten elektrische Schauder. Was war denn mit ihr los? Sie hatte sich noch nie vor Wasser gefürchtet. Im Gegenteil, sie war eine gute Schwimmerin, die sich angstfrei in alle Fluten stürzte, denen sie begegnete. Seen, Flüsse, das Meer, nichts machte ihr Angst. Sie rieb sich die Arme warm, atmete bewusst gegen das Kribbeln in ihrem Unterleib an und setzte sich auf den Steg, sodass ihre Zehenspitzen kleine Kringel in die unbewegliche Wasseroberfläche malen konnten. Das Wasser war noch eisig, aber es fühlte sich weich und samtig an. Zwei Monate später im Jahr hätte sie jetzt das Kleid über den Kopf gezogen und wäre in den See gesprungen. Vielleicht sollte sie das einfach tun und diese merkwürdige Unbehaglichkeit, die sie umfing, einfach wegspülen.
    Bin ich jetzt irre? Ich würd ’ sofort einen Herzinfarkt kriegen in dieser Kälte.
    Wie konnte sie auch nur auf die Idee kommen, zu dieser Jahreszeit in den See zu springen? Sie starrte auf das Wasser. Obwohl es so dunkel aussah, konnte sie bis auf den Grund sehen. Kleine Fische flitzten zwischen den Stützen des Stegs herum. Zwei Enten kreuzten schnatternd über den See. Sie legte sich auf den Rücken, spürte im Gesicht die Sonne, die schon erstaunlich kräftig schien. Das leichte Brennen, das bestimmt zu einem leichten Sonnenbrand führen würde, tat ihr gut. Gelbe Flecken kreisten vor ihren Augen. Sterne tanzten. Weiße Punkte sprangen hin und her. Als ein roter Tropfen alles andere zu bedecken begann, riss sie die Augen wieder auf. Geblendet sah sie jemanden auf sich zukommen. Sie schreckte hoch, blinzelte, versuchte, ihren Blick auf die dunkle Gestalt zu fokussieren, die jetzt ganz nah bei ihr war. Wenn das Jan war, wieso sagte er nichts?
    »Jan?«
    Als sie aufstand, schwankte

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