Das Jahr der Kraniche - Roman
zerschellte auf dem Fliesenboden. Jan starrte trübe auf die Scherben, die sich in der Küche verteilt hatten. Dann stand er auf und kehrte alles hastig zusammen. Eine größere Scherbe nahm er in die Hand, betrachtete sie einen Moment lang und warf dann alles in den Mülleimer. Er verließ die Küche, um im nächsten Moment zurückzukehren. Er holte den Müllbeutel aus dem Eimer, verknotete ihn und verließ damit die Küche. Laura sah zu, dass sie wegkam. Sie ging quer durch den Garten, bis sie hinter den Schuppen kam, hielt inne, drehte sich um und beobachtete Jan, wie er den Müllbeutel tief in die Tonne stopfte. Er sah sich forschend um, als er zurück zum Haus ging, so, als ob er sich beobachtet fühlte. Laura drückte sich an die Schuppenwand, die von der Sonne warm war. Shadow stand still neben ihr, als ob er spürte, dass er kein Geräusch machen durfte.
Ich spioniere meinem Mann hinterher.
Laura schüttelte den Kopf über sich selbst. Er hat nur den Müll rausgebracht. Ganz normal. Wie kam sie dazu, ihm zu misstrauen? Sie schauderte und ging nun endlich los. Bildete sie sich das nur ein, oder wurde sie mit jedem Schritt, den sie sich von Jan und dem Haus entfernte, ruhiger?
Marius hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Wie kam er dazu, seine Schweigepflicht zu brechen und Elke zu erzählen, dass Laura schwanger war? So etwas hatte er noch nie getan. Seine Patienten mussten sich darauf verlassen können, dass nichts von dem, was in seiner Praxis gesprochen wurde, nach außen drang. Und jetzt hatte er Elke ohne Not erzählt, dass Laura und Jan Eltern werden würden.
»Sie kriegen ein Kind? Das ist ja großartig. Ich freu mich so für die beiden. Meinst du, dass sie mich zur Patentante machen?«
Elkes Freude war groß. Und ehrlich. Sofort begann sie Pläne zu schmieden für die Zeit, wenn im Jägerhaus ein Kind aufwachsen würde. Sie würde Laura unterstützen, würde babysitten, bunte Jäckchen stricken und Babynahrung aus den Früchten ihres Gartens einkochen. Nicht einen Moment erweckte sie den Eindruck, dass sie vielleicht neidisch gewesen wäre. Sie, die selbst keine Kinder haben konnte, hätte allen Grund gehabt, Laura ihr Glück zu missgönnen. Doch Elke schien ihr eigenes Schicksal inzwischen so weit akzeptiert zu haben, dass sie sich einfach von Herzen für die andere Frau freuen konnte.
Marius ahnte nicht, wie erleichtert Elke ob dieser guten Nachricht tatsächlich war. Dieses Kind war ein Geschenk des Himmels. Es würde Laura und Jan noch enger aneinander binden, als es bisher schon der Fall war. Sicher würden sie wunderbare Eltern sein, würden mit Freuden die neue gemeinsame Verantwortung tragen. Und Laura würde für immer bei Jan bleiben. Sie beschloss, nach dem Essen ihren Garten zu plündern und Laura einen dicken Blumenstrauß zu bringen. Und einen Korb voller Früchte. Das würde sie ab jetzt die ganze Zeit tun, bis das Kind da war. Sie würde Laura mit Vitaminen versorgen, würde ihr Arbeit abnehmen, würde sich ganz einfach als die gute Freundin erweisen, die eine Frau in dieser Situation brauchte.
Nach dem Essen verzichtete Marius auf den Espresso, den sie im Sommer üblicherweise an dem kleinen hellgrünen Eisentisch im hinteren Teil des Gartens tranken. Er wollte, bevor die Nachmittagssprechstunde begann, schnell noch bei Laura vorbeisehen. Er hatte ihr ein paar Seiten zusammengestellt über die richtige Ernährung in der Schwangerschaft und über alles, worauf sie sonst noch zu achten habe. Elke trug ihm auf, Laura schöne Grüße zu überbringen. Sie würde sich im Laufe des Nachmittags bei ihr einfinden.
Einen kleinen Augenblick lang fragte sich Marius, ob Elkes Abschiedsumarmung nicht fester war als sonst. Sie hielt ihn umschlungen und drückte einen Kuss auf seine Brust.
»Ich bin so froh.«
Sie hatte sich verändert in der Zeit, seit Laura im Jägerhaus lebte. Elke war weicher geworden, nicht mehr so in sich gekehrt. Ihre nächtlichen Streifzüge hatten zwar noch nicht wieder völlig aufgehört, aber sie waren seltener geworden. Und sicher würde sie bald wieder die ganze Nacht durchschlafen. Die Sorgen, die sich Marius um seine Frau gemacht hatte, waren erheblich geringer geworden. Sie war stabiler denn je. Was auch immer er befürchtet hatte, es würde nicht eintreten.
Laura wanderte auf dem warmen Sandweg durch den Buchenwald, dessen Blätter ein wundersames Spiel mit den Sonnenstrahlen spielten, die sich durch das dichte Dach der Bäume immer wieder ihren Weg
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