Das Jahr der Kraniche - Roman
Sie würde sich ganz vorsichtig bewegen und die Kraniche bestimmt nicht stören.
»Du bist ein bisschen blass um die Nase. Geht ’s dir nicht gut?«
Sie wusste nicht, wieso sie ihm nicht erzählte, was heute Mittag geschehen war. Wahrscheinlich wollte sie einfach nur nicht, dass er sich Sorgen machte. Marius hatte ihr eine Spritze gegen die Übelkeit gegeben und ein paar Kreislauftropfen, und danach hatte sie sich ziemlich schnell wieder gut gefühlt. Er hatte ihr allerdings aufgetragen, sich in den nächsten Tagen bei ihm in der Praxis vorzustellen. Er wollte sie durchchecken, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung war. Sie hatte ihm versprochen, zu ihm zu kommen– und gleichzeitig beschlossen, dass das nicht nötig sei.
»Es ist alles okay. Hab vielleicht ein bisschen viel Sonne abbekommen, als ich im Garten gearbeitet habe. Hast du gesehen, wie toll die Hortensien aufgegangen sind?«
Jan hätte die Hortensien am liebsten herausgerissen. Er erinnerte sich, wie stolz Julia gewesen war, als die Büsche zum ersten Mal ihre dicken rosafarbenen und hellblauen Blüten bekommen hatten. Aber er wusste nicht, wie er Laura hätte erklären sollen, dass er die Büsche nicht mehr sehen wollte. Und tatsächlich waren sie ja auch wirklich prächtig, egal, von wem sie gepflanzt worden waren.
»Und weil du so fleißig gewesen bist, habe ich noch ein Geschenk für dich.«
Er hatte lange gezögert, ob er es wirklich kaufen sollte.
Und auch jetzt war er sich nicht sicher, wie Laura reagieren würde. Er reichte ihr die kleine Tüte einer Parfümerie in Rostock. Laura sah ihn fragend an. Dann holte sie den in lila Geschenkpapier verpackten Kubus aus der Tüte.
»Ich liebe Geschenke.«
Sie riss das Papier herunter. Er hielt unwillkürlich den Atem an.
»Ein Parfum? Das nenn ich aber mal mutig.«
Sie betrachtete die schmale hohe Flasche mit dem weißen Etikett.
»L ’eau? Einfach nur Wasser?«
»Ich hab es mir zeigen lassen, und ich dachte, es passt zu dir. Es riecht so… keine Ahnung, wie man das ausdrückt: unkompliziert, klar…«
Sie machte den Deckel ab und tupfte sich einen Tropfen der wasserklaren Flüssigkeit auf das Handgelenk, führte es an die Nase, schnüffelte, schloss die Augen. Und dann sagte sie nur: »Hmmmm. Das riecht wunderbar.« Sie küsste ihn auf den Mund. »Du bist sehr süß. Ich danke dir.«
Sie tupfte sich auch noch ein paar Tropfen des Parfums hinter die Ohren und zwischen ihre Brüste. Dann lächelte sie ihn schelmisch an.
»Und du meinst nicht, es ist ein bisschen zu unschuldig für mich? Ich meine… ich bin ja doch wohl eine ganz gerissene Verführerin.«
»Das bist du. Aber gleichzeitig bist du auch ein kleines Mädchen.«
Sie zog seinen Kopf an ihre Brust. Er sog den neuen Duft ein, der nur ihr allein gehörte. Seine Lippen wanderten an ihrem Hals empor, fanden ihren Mund. Sie lächelte, als sie ihn auf sich zog, und wischte den Flash, der durch ihre Gedanken schoss, schnell beiseite. Sie wollte nicht darüber nachdenken, ob er ihr das Parfum vielleicht deswegen gekauft hatte, weil schon eine andere Frau in diesem Haus den Duft benutzt hatte, den sie so gern trug. Shalimar war Vergangenheit. Gleich morgen früh würde sie es entsorgen.
5
Marius war erleichtert, als er herausfand, was Laura fehlte. Oder besser gesagt, was mit ihr los war. Denn es fehlte ihr tatsächlich gar nichts. Im Gegenteil.
»Und du bist dir ganz sicher?«
Ihre Augen glänzten vor Anspannung.
»So sicher, wie sich ein Arzt nur sein kann. Du bist schwanger, Laura.«
Sie konnte nicht anders, es riss sie aus dem Stuhl, in dem sie bangend gesessen hatte, um mit Marius die Ergebnisse der Untersuchungen, die er gemacht hatte, zu besprechen. Sie fiel ihm um den Hals. Lachend und weinend und jubelnd, alles gleichzeitig.
»Ich krieg ein Kind! Deswegen war mir so schlecht, einfach, weil ich schwanger bin. Wie verrückt ist das denn, dass ich nicht selbst auf das Nächstliegende gekommen bin? Danke, Marius, danke, danke, danke.«
Sie küsste ihn auf die Wange, er hielt sie lachend umfangen.
»Das ist die beste Nachricht seit Jahren. Ich meine, seit Jan mich gefragt hat, ob ich ihn heiraten will. Das ist alles so wahnsinnig. Ich werde Mutter, Marius, das ist so irre.«
Er konnte sich an ihrer Freude kaum satt sehen. Sie war so glücklich, so aufgeregt, ja, so voller guter Hoffnung.
»Mir musst du da nun wirklich nicht danken. Ich bin nur der Überbringer der guten Nachricht.«
»Ich hatte mir schon Sorgen
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