Das Jahr der Kraniche - Roman
von Julia hatte er ihr verschwiegen. Er hatte ihr einfach nicht gesagt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft so überzeugt davon gewesen waren, dass er Julia umgebracht hatte, dass sie ihn verhaftet hatten.
»Und wieso haben sie ihm dann nicht den Prozess gemacht?«
»Nachdem man keine Leiche gefunden hatte und Frau Landau eine Abschiedszeile an ihren Mann und dann auch diese Karte aus Costa Rica geschrieben hat, ließ sich die Anklage wohl nicht aufrechterhalten.«
»Was soll das heißen? Man war doch wohl überzeugt, dass er es nicht war. Er konnte es ja nicht gewesen sein, wenn sie doch in Costa Rica lebt.«
»Nein, konnte er nicht. Er hat es ganz bestimmt nicht getan.«
Natürlich hat er es nicht getan. Jan ist doch kein Mörder. Das hätte ich bemerkt. Ich hätte mich doch niemals in einen Mörder verliebt.
Sie wollte nur weg. Nach Hause zu Jan. Auf keinen Fall wollte sie weiter mit Michael Persius reden.
Sie brachte es nicht über sich. Sie konnte Jan einfach nicht erzählen, dass er Vater würde. Nicht heute jedenfalls. Morgen vielleicht. Morgen war ein neuer Tag. Heute musste sie nachdenken, in sich hineinhorchen, sich fragen, was ihr dieser Mann, den sie liebte und dessen Frau sie war, noch alles verschwiegen hatte. Sie legte die Hand auf ihren Bauch, als wollte sie das Wesen, das da in ihr heranwuchs, beruhigen.
Ich pass auf dich auf. Ich sorg dafür, dass es dir immer gut geht.
» Hast du alles bekommen?«
Der Einkauf! Sie hatte vollkommen vergessen, dass sie noch hatte einkaufen wollen. Dass sie zu Marius gehen würde, hatte sie Jan nicht gesagt. Wie hätte sie ihm das auch erklären sollen, nachdem sie ihm verschwiegen hatte, dass ihr vor ein paar Tagen so schlecht gewesen war?
»Ähm… nicht wirklich. Ich… war zu spät dran. Das Landbrot war schon aus, und der Metzger hat erst morgen wieder Rouladenfleisch.«
»Tut mir leid, dass du umsonst gefahren bist. Wenn du willst, übernehm ’ ich morgen das Einkaufen.«
Er war so nett. Und so besorgt. Er tat alles, damit es ihr hier gut ging. Als Jan seine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte sie zusammen. Und schämte sich im nächsten Moment dafür.
»Kommst du mit deinem Entwurf voran?«
Jan hatte die letzten Tage sehr viel gearbeitet, der Abgabetermin war der erste August. Nicht allzu viel Zeit für ein derart großes Projekt. Er hoffte sehr, dass er den Zuschlag bekommen würde. Das Kaufhaus in Köln sollte der Beginn seiner dritten Karriere sein. Es war ihm wichtig, dass er wieder Projekte in Deutschland haben würde, vor allem, weil er dann weniger oft unterwegs zu sein brauchte. Die Zeit im Jägerhaus und vor allem die Zeit mit Laura war ihm so wichtig, dass er einige Anfragen aus Japan und Australien schon abgesagt hatte.
Sie küssten einander innig. Jan ging zurück an seinen Schreibtisch, Laura schnappte sich den Hund, um einen Spaziergang mit ihm zu machen. Bevor sie das Grundstück verließ, drehte sie sich noch einmal um. Jan saß bei geöffneten Terrassentüren am Schreibtisch. Er starrte auf den Bildschirm vor ihm, aber jetzt hob er den Kopf und sah nachdenklich auf den See. Täuschte sich Laura, oder verdüsterte sich sein Blick? Woran dachte er? Sicher doch nur an sein Projekt? Oder dachte er etwa an Julia? Sah er sie vor sich, wie sie sich auf dem Steg sonnte, wie sie ins Wasser sprang? Laura hasste sich in diesem Moment für ihre Gedanken. Sie wusste, dass sie mit ihm reden musste. Und sie wusste zugleich, dass sie sich davor fürchtete. Würde er nicht einfach wieder sagen, dass das alles vorbei sei, dass er die Zeit mit Julia abgehakt hatte? Wieso hatte er dann nicht erzählt, dass er ihretwegen in Untersuchungshaft gewesen war? Sie musste ihn danach fragen, daran gab es keinen Zweifel. Sonst würde sie keine Ruhe finden. Aber musste sie ihm dann nicht auch von ihren Träumen erzählen, von der Stimme, von der Panik, die sie hin und wieder in diesem Haus überfiel? Und natürlich von dem Kind?
Sie sah, dass Jan aufstand und im Inneren des Hauses verschwand. Wahrscheinlich holte er sich nur einen Kaffee oder ein Glas Wasser. Doch sie konnte das Gefühl des Unbehagens nicht abstreifen. Als sie durch das Küchenfenster sah, sah sie Jan in sich zusammengesunken auf einem Stuhl sitzen. Das Gesicht verbarg er in seinen Händen. Auf dem Tisch vor ihm stand eine Kaffeetasse, die Laura noch nie gesehen hatte. Es war eher ein Becher, weiß mit einem dicken goldenen Rand. Jetzt nahm er ihn– und öffnete seine Hand. Der Becher
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