Das Jahr der Kraniche - Roman
gemacht. Hätte ja sein können, dass ich Magenkrebs habe oder einen Hirntumor oder sonst irgendwas Schreckliches. Dabei kriege ich einfach nur ein Kind!«
Plötzlich stand sie ganz still da. Sie legte ihre Hände auf ihren Bauch, so als wollte sie das kleine Wesen, das in ihr heranwuchs, spüren.
»Wann?«
»Ich vermute, du bist im zweiten Monat. Also dürfte dein Baby so im März kommen. Ein kleines Frühjahrswunder.«
Wenn die Kraniche wiederkämen, würde sie ihr Kind bekommen. Es würde die ersten Frühlingssonnenstrahlen spüren, sehen, wie die Buchen die ersten Blätter bekämen, würde den Duft des Holunders riechen. Ein Frühjahrswunder.
»Meinst du, ich werde eine gute Mutter sein?«
»Wieso denn nicht? Du und Jan, ihr werdet die besten Eltern auf der Welt werden!«
Sie musste nach Hause und Jan sofort diese wundervolle Nachricht überbringen. Dieses Kind würde die Krönung ihrer Liebe sein.
Als sie aus Marius ’ Praxis über den Marktplatz auf ihr Auto zueilte, sah sie Michael Persius, der an einem Stand einkaufte. Eigentlich wollte sie nicht mit ihm reden. Seit dem verunglückten Essen hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Und das hatte ihr auch nicht leid getan. Nur hin und wieder hatte sie überlegt, ob er sich überhaupt noch im Lande befand oder ob er schon wieder nach München zurückgefahren war, ohne sich zu verabschieden.
»Hallo, Laura.«
Er stellte sich ihr in den Weg.
»Wie geht es Ihnen? Sie sehen großartig aus. Das Leben hier scheint Ihnen gut zu tun.«
»Da haben Sie recht. Es geht mir gut. Es geht mir absolut super.«
»Ich wollte mich schon lange bei Ihnen melden, um Ihnen nochmals für das Essen zu danken. Es hat wirklich außerordentlich gut geschmeckt. Aber es ist immer etwas dazwischen…« Er unterbrach sich und beschloss, nicht zu lügen. »Wenn ich ehrlich sein soll– ich habe mich nicht getraut. Nicht nach meinem… einigermaßen bescheuerten Benehmen.«
»Kein Problem. Ich hab ’ s schon vergessen.« Auch wenn sie gedacht hatte, dass sie ihm nie verzeihen würde, wie er sich benommen hatte– heute schwebte sie auf Wolken und hatte keinerlei Lust, sich den Tag durch auch nur den Hauch einer Missstimmung verderben zu lassen. »Machen Sie sich keine Gedanken. Es ist alles in Ordnung.«
Und jetzt lass mich gehen. Ich hab keine Zeit für belanglose Plaudereien. Ich muss zu meinem Mann. Ich hab vor, ihn so glücklich zu machen, wie er es noch nie war.
» Sie sind wirklich eine bewundernswerte Frau. Ich hab das Gefühl, Sie lassen sich von überhaupt nichts aus der Ruhe bringen.«
Wenn du wüsstest, was mich gerade total aus der Ruhe bringt.
Sie wollte jetzt endlich weiter und sagte, sie habe wirklich keine Zeit. Ihr Mann würde auf sie warten.
»Ja, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag. Und bitte, grüßen Sie Ihren Mann. Sagen Sie ihm, dass ich mich für mein Benehmen entschuldige. Es stand mir überhaupt nicht zu, über seine Familie zu urteilen. Nicht nach allem, was er erlebt hat.«
Da war er wieder, dieser Schatten. Als wenn sich eine Wolke vor die Sonne geschoben hätte, erschauerte Laura plötzlich.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Reden Sie von dem Unfall seiner Eltern?«
»Das auch. Aber ich kann mir vorstellen, dass es genauso schlimm für Ihren Mann war, dass man ihn verdächtigt hat, seine Freundin umgebracht zu haben. So etwas wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht.«
Der Satz dröhnte in Lauras Ohren. Man hatte Jan verdächtigt, Julia getötet zu haben? Aber das war doch absolut verrückt. Julia hatte ihn verlassen. Warum sollte jemand gedacht haben, dass Jan…
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Ihre Stimme war zu einem Flüstern geworden. »Julia ist weggegangen. Aber… doch nach Südamerika. Ich hab die Karte gesehen, die sie aus Costa Rica geschrieben hat.«
Sie sah plötzlich so verzweifelt aus, dass es ihm schon leid tat, seine Klappe nicht gehalten zu haben. Aber immerhin, Jan hatte Laura also nichts davon erzählt, dass die Polizei ihm einen Mord zugetraut hatte.
»Woher wollen Sie das denn alles wissen? Jan… Er ist doch kein Mörder. Das ist doch alles vollkommen absurd.«
»Sie konnten wohl nicht anders. Als man den Koffer von Julia Landau aus einem Tümpel gezogen hat, ging die Polizei wohl davon aus, dass sie noch hier in der Gegend sein müsse. Irgendwo verscharrt, umgebracht von ihrem Mann. Es tut mir leid, ich dachte, Sie hätten das gewusst.«
Nichts hatte sie gewusst. Den wichtigsten Teil der Trennung
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