Das Jahr der Kriesen
wendet. Mir ist klar, daß das eine verdammte Menge Geld kosten wird, aber ich bin bereit, die Kosten zu übernehmen. Verstehen Sie?«
»Ich verstehe«, sagte Tito. Mit anderen Worten: Lurton Sands eine Falle stellen. Die Entschlossenheit des Mannes ausnutzen, das Leben eines sterbenden Menschen zu retten... seine humanitäre Einstellung zum Instrument seiner Vernichtung machen. Was für eine Art, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, dachte sich Tito. Noch einen Tag, noch einen Dollar... das ist es kaum. Nicht, wenn man in so etwas verwickelt wird.
»Ich weiß, daß Sie das arrangieren können«, sagte Myra leidenschaftlich zu ihm. »Sie sind gut, Sie sind erfahren. Oder nicht?«
»Ja, Mrs. Sands«, antwortete Tito. »Ich bin erfahren. Ja, möglicherweise kann ich dem Burschen eine Falle stellen. Ihn an der Nase herumführen. Es dürfte nicht allzu schwer sein.«
»Sorgen Sie dafür, daß ihm Ihr ›Patient‹ eine Menge bietet«, sagte Myra mit bitterer, harter Stimme. »Lurton wird anbeißen, wenn er einen lohnenden finanziellen Gewinn wittert. Das ist es, was ihn interessiert – trotz allem, was Sie und die verdammte Öffentlichkeit sich vorstellen mögen oder auch nicht. Ich muß es wohl wissen – ich habe eine ganze Menge von Jahren mit ihm gelebt, seine intimsten Gedanken geteilt.« Sie lächelte kurz. »Eigentlich ist es eine Schande, daß ich Ihnen sagen muß, wie Sie an Ihre Aufgabe herangehen müssen, aber offenbar muß ich das.« Ihr Lächeln kehrte zurück: kalt und außerordentlich hart.
»Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen«, sagte Tito hölzern.
»Nein, das wissen Sie nicht. Sie denken, ich versuche, etwas Gemeines zu tun. Etwas aus bloßem Trotz.«
Tito sagte: »Ich denke überhaupt nichts, ich habe nur Hunger. Vielleicht essen Sie nicht vor halb neun oder neun, aber ich habe Magenkrämpfe, und ich muß um sieben essen. Entschuldigen Sie mich jetzt?« Er erhob sich, wobei er seinen Schreibtischstuhl zurückschob. »Ich möchte den Laden schließen.« Er erneuerte sein Angebot nicht, sie zum Abendessen auszuführen.
Myra Sands nahm ihren Mantel und ihre Handtasche und sagte : »Haben Sie Cally Vale gefunden – und wenn ja, wo?«
»Fehlanzeige«, sagte Tito und fühlte sich unbehaglich.
Myra Sands starrte ihn an. »Aber warum können Sie sie nicht ausfindig machen?« fragte sie. »Sie muß doch irgendwo sein!« Sie sah aus, als könnte sie ihren Ohren nicht trauen.
»Die Gerichtsprozeßhelfer können sie auch nicht finden«, hob Tito hervor. »Aber ich bin sicher, sie wird bis zur Verhandlung auftauchen.« Auch er hatte sich gewundert, weshalb sein Mitarbeiterstab nicht in der Lage gewesen war, Lurton Sands Geliebte aufzuspüren – schließlich gab es nur eine begrenzte Anzahl von Orten, wo sich eine Person verstecken konnte, und die Aufspürungs- und Verfolgungsgerätschaften hatten sich, besonders während der beiden letzten Jahrzehnte, zu einer fast übernatürlichen Exaktheit verbessert.
»Langsam beginne ich zu glauben, daß Sie einfach überhaupt nichts taugen«, sagte Myra. »Ich frage mich, ob ich meine Angelegenheiten nicht jemandem anderen übertragen sollte.«
»Das steht Ihnen frei«, sagte Tito. Sein Magen schmerzte, eine Reihe von Krämpfen in der Pfortenklappe. Er fragte sich, ob er heute abend überhaupt Gelegenheit zum Essen haben würde.
»Sie müssen Miss Vale finden«, sagte Myra. »Sie kennt alle Einzelheiten seiner Aktivitäten. Deshalb hat er sie versteckt – Tatsache ist, daß ihr Blut von einem Herz gepumpt wird, das er ihr beschafft hat.«
»Okay, Mrs. Sands«, stimmte Tito zu, und innerlich zuckte er unter den zunehmenden Schmerzen zusammen...
4
Der schwarzhaarige, überaus dunkle Jugendliche sagte schüchtern : »Wir sind zu Ihnen gekommen, Mrs. Sands, weil wir im Vidblatt von Ihnen gelesen haben. Es heißt, Sie wären sehr gut, und Sie würden auch Leute ohne allzuviel Geld annehmen.« Er fügte hinzu : »Wir haben im Moment überhaupt kein Geld, aber vielleicht können wir Sie später bezahlen.«
Barsch sagte Myra Sands: »Machen Sie sich darüber jetzt keine Sorgen.« Sie musterte den Jungen und das Mädchen. »Wollen mal sehen. Sie heißen Art und Rachael Chaffy. Setzen Sie sich, Sie beide, und reden wir, einverstanden?« Sie lächelte sie an, ihr professionelles Lächeln der Begrüßung und der Wärme. Es war für ihre Patienten reserviert, wurde niemandem sonst gegeben, nicht einmal ihrem Mann – oder, wie sie jetzt dachte, ihrem
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