Das Jahr der Krisen
sein fortgeschrittenes Alter.
»Was steht da?« fragte sein Verkäufer Stu Hadley, der in der Tür des Büros stand, den Robam-Magnetbesen in der Hand. Er hatte seine Tätigkeit unterbrochen.
Stumm las Pethel die Hauptschlagzeile.
A USWIRKUNGEN EINES N EGER -P RÄSIDENTEN
AUF DIE G ESCHÄFTSGEMEINSCHAFT DER N ATION
Und dort gab es, in 3-D, belebt, ein Bildnis von James Briskin. Das Bild erwachte zum Leben, Kandidat James Briskin lächelte in Miniatur, als Pethel den Streifen darunter drückte. Die schnauzbartverdeckten Lippen des Negers bewegten sich, und über seinem Kopf erschien eine Blase, mit den Worten gefüllt, die er sprach.
Meine erste Aufgabe wird es sein, eine gerechte Verfügung in Sachen der -zig Millionen Schlafenden zu finden.
»Und jeden letzten Flakkie auf den Arbeitsmarkt zurückzuwerfen«, murmelte Pethel. Er ließ den Wortstreifen los. »Wenn dieser Bursche drankommt, ist die Nation ruiniert.« Aber es war unvermeidlich. Früher oder später würde es einen Neger-Präsidenten geben. Es gab seit dem Ereignis von 1993 mehr Farbige als Weiße.
Finster blätterte er um auf Seite zwei: zum Neuesten über den Lurton-Sands-Skandal. Vielleicht würde ihn das aufmuntern, wenn die politischen Nachrichten schon so schlecht waren. Der berühmte Organverpflanzungschirurg war in einen sensationellen, angefochtenen Scheidungsprozeß gegen seine gleichermaßen berühmte Frau Myra, der Abtreibungsberaterin, verwickelt worden. Alle Arten von saftigen Details begannen herauszusickern, Anschuldigungen auf beiden Seiten. Dr. Sands hatte – den Vidblättern zufolge – eine Geliebte; deshalb betrieb Myra die Trennung, und das mit Recht. Nicht wie in der guten alten Zeit, dachte Pethel, und erinnerte sich an seine Jugend in den späten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts. Jetzt schrieb man das Jahr 2080, und die öffentliche – und private – Moral hatte sich verschlechtert.
Weshalb mußte Dr. Sands überhaupt eine Geliebte haben, fragte sich Pethel, wo es doch diesen Goldenes-Tor-Momente-der-Freude-Satelliten gab, der jeden Tag oben vorbeikam? Man sagt, dort könnte man aus fünftausend Mädchen auswählen.
Er selbst hatte Thisbe Olts Satelliten nie besucht; er billigte ihn nicht, genausowenig wie viele Jerries – es war eine zu radikale Lösung für das Überbevölkerungsproblem, und die Älteren hatten damals, ’72, ihre Annahme im Kongreß brieflich und telegrafisch bekämpft. Aber das Gesetz war trotzdem durchgekommen … Wahrscheinlich, überlegte er, weil die meisten Kongreßabgeordneten den Vorsatz im Schädel gehabt hatten, selbst ein Jet’axi nach dort zu nehmen. Und jetzt taten sie es ohne Zweifel regelmäßig.
»Wenn wir Weißen zusammenhalten …« begann Hadley.
»Hören Sie zu«, sagte Pethel, »diese Zeit ist vorbei. Wenn Briskin die Flakkies wegkriegt, dann bedeutet das mehr Macht für ihn. Mich persönlich hält es nachts wach, wenn ich an all diese Leute denke, die meisten von ihnen gerade Kinder, die Jahr um Jahr in den Regierungslagerhäusern liegen. Schauen Sie sich die brachliegenden Talente an. Es ist – bürokratisch. Nur eine aufgeblasene sozialistische Regierung hätte sich eine solche Lösung erträumt.« Er betrachtete seinen Verkäufer streng. »Wenn Sie nicht diesen Job bei mir bekommen hätten, könnten auch Sie …«
Hadley unterbrach ruhig: »Aber ich bin weiß.«
Als er weiterlas, sah Pethel, daß Thisbe Olts Satellit 2079 eine Milliarde US-Dollars umgesetzt hatte. Junge, Junge, sagte er zu sich selbst. Das ist Big Busineß. Vor ihm war ein Bild von Thisbe – mit kadmiumweißem Haar und kleinen, hohen, kugelförmigen Brüsten war sie ein prächtiger Anblick, eine ästhetische wie auch sexuelle Wohltat. Das Bild zeigte sie, wie sie männlichen Gästen ihres Satelliten einen Tequila Sour servierte – ein zusätzlicher Anreiz, weil Tequila, der aus der Mescalpflanze gewonnen wurde, auf der Erde selbst schon lange verboten war.
Pethel berührte den Wortstreifen von Thisbes Bild, und sofort funkelten Thisbes Augen, ihr Kopf drehte sich, ihre festen, kräftigen Brüste vibrierten leicht, und in der Sprechblase über ihrem Kopf bildeten sich die richtigen Worte.
Lästiger persönlicher Drang, Mister amerikanischer Geschäftsmann? Machen Sie, was viele Ärzte empfehlen: Besuchen Sie mein Goldenes Tor!
Es war eine Anzeige, entdeckte Pethel. Kein informativer Artikel.
»Entschuldigen Sie.« Ein Kunde hatte den Laden betreten, und Hadley marschierte zu ihm
Weitere Kostenlose Bücher