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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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mein Gewehr verloren. Da schlug neben Fritz eine Granate ein. Ich fand nicht einmal mehr seine Erkennungsmarke.«
    Die Uniform aber zog Olbrischt nach wie vor an.
    »Opfer müssen gebracht werden«, hatte er zu Großvater gesagt. Großvater hatte ihn traurig angeschaut und geantwortet: »Selbst mit Abraham und Isaak hatte Gott Erbarmen«, hatte sich umgedreht und war davongestapft.
    Das alles ging Konrad durch den Kopf, als er zur Schule lief. Mutter hatte ihm zum ersten Mal in diesem Jahr die Schuhe herausgestellt. Er ging allein. Die knappe Stunde bis zur Schule behielt er meist für sich. Der Tag wurde klar. Konrads Blick reichte bis zum spitzen Kirchturm hinter dem Hügel. Fast alle Felder lagen nackt und kahl. Auf ein paar Kartoffeläckern faulte das Kraut. Die schlappen Blätter der Rüben leuchteten in krankem Grün und modrigem Gelb. Die Stoppelfelder lagen schmutzig und ungepflügt. Gute Felder. Mit Blut gedüngt. Mit Polenblut und deutschem Blut.
    »Die Männer fehlen und die Pferde.«
    Er erreichte die ersten Häuser. In Kuhns Krämerladen gab er einen Zettel von Mutter ab.
    »Gegen eins komme ich alles abholen.«
    »Ist gut, Jungchen«, sagte die Krämersfrau und legte den Zettel beiseite. Aus alter Gewohnheit griff sie in das Bonbonglas. Doch es war leer. Seit Tagen schon leer.
    »Nuscht«, knurrte sie. »Nuscht.«
    Konrad war als Erster in dem dämmrigen Klassenzimmer. Es roch nach Kreide und ranzigem Öl. Der hohe Kanonenofen mit der gusseisernen Tür bullerte. Konrad legte Holzkloben nach.
    Allmählich füllte sich die Klasse. Der Lehrer trat ein, gebeugt, mager.
    »Heil Hitler!«, grüßte er matt. »Schließ das Fenster, Gunwald.«
    Konrads Nachbar erhob sich und versuchte den Fenstergriff zu drehen. Er war der größte Junge in der Schule, seitdem der achte Jahrgang nach Polen befohlen worden war. Zum Schanzen. Schmale Gräben sollten sie ausheben. Um die Panzer aufzuhalten, hieß es.
    »Nimm den Stuhl, Junge«, mahnte der Lehrer.
    Das Donnern und Grollen der Geschütze drüben hinter dem Wald war nun nicht mehr so stark zu hören. Der Lehrer malte für die Großen Bruchzahlen an die Tafel und ging zum dritten und vierten Jahrgang hinüber. Konrad hatte schnell seine Aufgaben gelöst und starrte auf die bunte Europakarte an der Wand. Rote und weiße Papierflächen waren in den ersten Kriegsjahren jeden Tag neu gesteckt worden. Damals hatte Konrad noch vorn in den kleinen Bänken gesessen. Die Fähnchen zeigten die Fronten an. Inzwischen war Konrads Platz in der letzten Reihe. Der Krieg dauerte zu lange. Die verstaubten Fähnchen berührte niemand mehr. Am großen Wolgaknie steckte ein spitzes, rotes Zeichen. Stalingrad. Eine ganze deutsche Armee war dort vernichtet worden.
    »Das erste sichtbare Zeichen vom Ende«, hatte Großvater gesagt.
    »Schlaf nicht, Bienmann«, mahnte der Lehrer.
    »Ich bin fertig, Herr Störm.«
    »Bitte, hilf Karin. Sie kommt mit dem schriftlichen Abziehen nicht zurecht.«
    Bevor Konrad aufgestanden war, wurde nach kurzem Klopfen die Tür aufgestoßen.
    »Brennschere«, flüsterte Bruno Warczak. Olbrischt spähte in die Klasse. Er trug die Uniform. Die rote Armbinde glühte im Halbdunkel.
    »Heil Hitler«, rief er. Der Lehrer fuhr erschreckt zusammen, riss seinen zittrigen Arm viel höher als sonst und erwiderte den Gruß.
    »Der Konrad Bienmann soll heimgehen. Mit dem alten Lukas Bienmann steht es schlecht. Den Pfarrer soll er benachrichtigen.«
    »Los, Bienmann, lauf!« Der Großvater! Konrad rannte los.
    »Was ist mit ihm?«, fragte der Pfarrer hinter dem Schreibtisch her, und ohne eine Antwort abzuwarten, mahnte er: »Junge, nimm die Mütze vom Kopf.«
    Das Blut färbte Konrads Backen.
    »Ich komme mit, Junge. Wart auf mich. Du kannst die Schelle tragen.« Der Pfarrer schlüpfte in sein Rochett, beugte mühsam das Knie und barg die Hostie an seiner Brust. Konrad nahm die Schelle und lief voraus. Die Leute im Dorf knieten in den Staub nieder. Selbst Katharina wich dem Pfarrer nicht mehr aus, seit die Geschütze grollten.
    »In der Not wird selbst der Teufel fromm«, spottete der Pfarrer. Doch dann brummelte er lateinische Gebete und mahnte: »Langsam, langsam, Junge. Ich bin ein alter Mann.«
    Drüben, unter dem Wald, arbeitete Janosch mit den Pferden. Er war leicht zu erkennen, weil er mit seinem hölzernen Bein nicht recht fertig werden konnte und hinkte.
    Schon von weitem sah Konrad die Mutter über die Straße eilen, ein weißes Tuch in den Händen. Sie lief

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