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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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1
    »Hier ist es.«
    Der Junge verharrte und hob seine Angel wie einen spitzen Speer.
    Der Sommer reichte heiß und hoch bis in den blauen Himmel. Drei dicke, weiße Wolken segelten faul im flauen Wind, der vom anderen Ufer des Flusses her dann und wann über das Wasser sprang. Der träge Strom erzitterte leise und schob seine krause Gänsehaut weit in die Bucht hinein. Die Weiden regten sich und fächelten müde mit ihren lanzenschmalen Blättern, und ihr Bild im Spiegel des Wassers hüpfte und glitzerte im prallen Licht der Sonne.
    Konrad beugte sich über das Ufer und stand steif und starr. Er kniff die Augen zu einem schmalen Spalt zusammen. Der Schatten zeichnete eine schwarze Falte in die Stirn. Sein Blick flog über die stille Wasserfläche bis zur Strömung hin. »Hier war es«, bestätigte er leise. Er spähte zum niedrigen Erlengebüsch hinüber. Dort im tiefen Wasser hatte er ihn springen sehen. Hoch hinaus schoss er. Der schwere Leib glänzte in der roten Abendsonne auf und zerriss platschend die Wasserfläche. Das klang hart und spritzte, als hätte er mit seiner Holzpantine in den Schlamm geschlagen. Die Wellenkreise leckten bis ans Ufer. »Mein Karpfen«, sagte Konrad seitdem. Er zitterte, sooft er an den Fisch dachte. Und heute wusste er: Er würde ihn fangen.
    Er wandte sich um und rollte die Angelschnur von der Rute.
    »Die Gerte ist richtig für dich«, lächelte er und bog ihre Spitze.
    »Kein Bambus, kein Pfefferrohr. Aber zäh. Das hat der alte Janosch gesagt. Zäh bis in die Spitze. Sechs Jahre alt und im Dickicht gewachsen. Leicht und schlank und zäh. Fichten, die sechs Jahre im Dickicht hochschießen, sind zähe Angelruten. Zäh genug für dich, mein Karpfen. Und erst meine Schnur!«
    Er prüfte sie zwischen den Fingerspitzen.
    »Von Kostrachs Schimmel. Einzeln aus dem Schweif gezupft mit spitzen Fingern. Neununddreißig lange, silbrige Pferdehaare. Bei jedem Haar hat das Tier die Ohren an den Kopf gepresst und viermal nach mir geschlagen, mein Karpfen, alles für dich. Es schmerzt den Schimmel nicht mehr, als wenn ich mir selbst das Haar auszupfe, hat Janosch gesagt. Es ist fast nichts, weißt du. Ich habe es vorher bei mir versucht. Neununddreißig schimmernde, seidendünne Haare zu einer Schnur gedreht, wie Großvater es mir verraten hat. Es ist eine geheime Kunst. Aber Großvater versteht sich auf Künste. Er hat mir gezeigt, wie die Haare geschlungen werden. Für dich, mein Karpfen, alles für dich.«
    Konrad legte die Rute ins hohe Gras und schob sich das Ende der Schnur zwischen die Lippen.
    Mit einem leisen Wind flog ferner, dumpfer Donner über den Fluss. Die Russen? Hört man sie schon? Oder zieht ein Gewitter herauf? Scharf blickte er zum großen Wald hinüber. Keine dunkle Wolke war zu sehen. Also doch die Russen?
    Er griff in die Tasche und schrie leise auf. Der Haken hatte sich in seine Fingerkuppe gespießt. Vorsichtig zog er ihn heraus und sah neugierig auf die Kuppel roten Blutes, die sich durch die Haut drängte.
    »Tut weh, so ein Haken. Sehr weh.«
    Behände schlug er die Schnur durch die Öse. Aus der ledernen Patronentasche an seinem Gürtel nahm er eine gekochte Kartoffel, schob die Schale ab und zog geschickt den Haken in den gelben Köder, bis keine Spur mehr vom blanken Eisen zu sehen war.
    »Die wird dir schmecken.«
    Er fasste die Gerte mit der rechten Hand und hielt den weichen Köder in der linken. Vorsichtig hob er die Spitze an. Sie bog sich ein wenig. Wie ein dicker Regentropfen schlug der Köder auf das Wasser und versank. Der lange Schwimmer, den Großvater ihm aus brauner Rinde geschnitzt hatte, stellte sich auf.
    Die Wellen hatten sich verlaufen. Konrad stand noch eine Weile regungslos. Dann setzte er sich ins Gras. Er stellte die Füße mit den Holzpantinen ins brackige Uferwasser. Die Sohlen sanken ein wenig in den Schlamm und das braune Deckleder sog sich voll Wasser. Es wurde schwer und schwarz. Locker hielt er die Rute in den Händen. Nur seine Augen verrieten Spannung und Achtsamkeit. Unablässig waren sie auf den Schwimmer gerichtet.
    »Beiß nur. Ich werde dich schon zwingen. Albert meint ja, ich schaffe es nie. Karpfen seien misstrauisch und erfahren. Ohne Käscher und Netz gelinge es nicht, selbst wenn du beißen würdest. Aber beiß nur erst. Ich weiß schon, wie ich es dann mache. Ich habe doch die pfündige Plötze gezogen und auch den Blei von fast einem Kilo. Ich werde dich schon ans Ufer bringen. Beiß nur fest zu.«
    Eine Libelle sirrte

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