Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman
ich schon lange keine Gelegenheit zur Vorfreude auf einen Fick gehabt hatte. Das machte mich wehmütig. Und geil. Doch bevor ich die Erinnerung an einen besonders raffinierten Koitus mit, beispielsweise, Doris richtig scharfstellen konnte, klopfte es.
Bülent. Er rümpfte die Nase. »Nervt dich das Vieh nicht allmählich?«
Achselzuckend und für meine Verhältnisse erstaunlich abgeklärt, sagte ich: »Er hat seine Macken, ich hab meine.«
»Wie war’s in Goslar? Du warst ja lange weg. Ich hab mir schon Sorgen …«
Abermaliges Achselzucken. »Hab nicht viel von der Stadt gesehen. Den Wagen hab ich abgestellt und ausgewischt.« Kein Blickkontakt.
»Ey, was ist los, Alter? Irgendwas stimmt nicht. Das merk ich ganz deutlich.«
An sich war ich nicht scharf darauf, den ganzen vorhin erlebten Horror breitzuwalzen. Alles noch so frisch und unverdaut, lag bleischwer in mir – wie echte Scheiße, Unmengen von Kot, zu fest, um sich mühelos ausscheißen zu lassen. Das gute alte Verstopfungsproblem. In diesem Fall ging’s natürlich um die nicht minder bedenkliche seelische Verstopfung. Besser Sprechdurchfall als Sprachverstopfung, sagte ich mir, schloss die Fenster, goss Whiskey ins Zahnputzglas, steckte mir ’ne Lucky zwischen die Lippen, nahm einen Schluck, saugte an der Zigarette – alles unter Bülents fragendem und, wegen des Whiskeys zu dieser frühen Tageszeit, missbilligendem Blick – und fing endlich an, meine Erlebnisse und die damit verbundenen Psycho-Qualen vor ihm auszubreiten, zuerst stockend, dann, in Fahrt gekommen, sprudelnd, das Zimmer quasi überflutend und offenbar auf sehr melodramatische Weise, denn Bülent wirkte von Satz zu Satz bedrückter, war schließlich den Tränen nahe, seine Finger führten merkwürdige Tänze auf und wühlten sich, nur um etwas zu tun, durch seine Haare.
»So eine Scheiße, Alter«, stöhnte er, und es hörte sich an, als hätte er echte körperliche, kaum auszuhaltende Schmerzen. »So ein Scheiß. Dabei hat alles so gut angefangen. Wir müssen diesem Möchtegern-Elvis eine satte Lektion erteilen, ihn verprügeln und verstümmeln – oder zumindest so markieren, dass er sein Leben lang daran erinnert wird, die Pfoten von Frauen anderer Männer zu lassen! Das Schwein! Er darf Doris nie wieder anfassen!«
Damit schaffte er es immerhin, mir den Ansatz eines Lächelns zu entlocken. Meine Antwort hörte sich sicherlich unangenehm belehrend an, so in der Tradition Deutscher-Missionar-bringt-unwissendem-aber-aufnahmefähigem-Wilden-die-Frohe-Botschaft, doch das ließ sich nicht vermeiden, war dieses Thema doch eines der typischen Beispiele für die kulturellen Gegensätze nicht nur zwischen mir, dem Deutschen, und Bülent, dem Türken, sondern auch zwischen mir und Millionen Deutschen, die noch immer in den Macker-Kategorien der Prä-68er-Zeit dachten. »So geht das nicht, mein Lieber«, sagte ich, den Kopf langsam und bedeutungsschwer hin- und herbewegend. »In unserer Gesellschaft werden Frauen seit einiger Zeit nicht mehr nur als unmündige Gebärmaschinen und Dienerinnen angesehen, sondern als mündige Gleichberechtigte. Doris hat sich für diesen Clown aus freien Stücken entschieden. Verstehst du? Meine Wut auf den Typen entspringt lediglich meiner Eifersucht. Ich kann doch Siegfried Rupf nicht dafür bestrafen, dass sie mit ihm was angefangen hat.«
Verächtlich verzogener Mund. »Das ist doch Scheiße. Wo bleibt denn da deine Ehre? Emanzipation in Maßen, ja, okay, meinetwegen, so weit bin ich auch schon. Es stimmt ja, dass Frauen oft mies behandelt werden. Das muss man abstellen. Ich bin auch nicht der Ansicht, dass die Frau hinter dem Mann zu gehen hat und das Haus nur mit Kopftuch verlassen darf. So rückständig bin ich nicht, weißt du, ich steh ja auf Kemal Atatürk, der sich sehr für die Frauen eingesetzt hat, was du vermutlich nicht weißt. Aber die Frauen hier in Deutschland wollen was ganz anderes, nämlich euch Männern die Eier abschneiden. Und solche Softies wie du reichen ihnen auch noch das Messer dazu und laden die Angebetete zum Eierabschneiden ein: ›Hier, bitte, bedien dich. Sind ja nur zwei Eier. Aber wirf sie bitte nicht weg, sondern konservier sie.‹ Bei uns Türken läuft das natürlich nicht, niemals. Schon weil im Koran geschrieben steht, dass der Mann der Boss ist. Und wenn’s im Koran steht, hat das einen guten Grund.«
Die in mir hochsteigende Verärgerung hatte ich zwar registriert, aber eher als Schubkraft, zur Steigerung der
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