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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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rhetorischen Schärfe meiner Antwort missverstanden. Obwohl in Hamburg aufgewachsen, hatte Bülent, gefangen in seinem türkischen Milieu, die gesellschaftspolitischen Umwälzungen nur vage und wie durch eine Glasscheibe wahrgenommen, hielt Frauen in lila Latzhosen für Lesben und die vor einigen Monaten gegründete Frauenzeitschrift
Emma
für ein Kampfblatt zur Unterdrückung der Männer. Ich wusste auch, dass Atomkraftgegner für ihn realitätsfremde, von Ostberlin oder Moskau gesteuerte Spinner waren, geradezu schmerzhaft erinnerte ich mich an seine Sprüche über »perverse Schweinefleischfresser«. Eine Menge Schrott, wie ich fand. Und alles zusammen vereinigte sich nun zu dem idealen Beschleunigungsmittel für meine Verärgerung, die inzwischen so weit hochgestiegen war, dass ich sie nicht mehr kontrollieren konnte.
    »Ach, Bülent. Was soll der Quatsch? Du hörst dich an wie mein Vater vor zwanzig Jahren. Wie er heute denkt, weiß ich nicht, weil ich seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr zu ihm habe. Aber vermutlich hat er seine Ansichten beibehalten und ist wohl noch stolz darauf, ein Mann von vorgestern zu sein. Im Westen setzt sich nach und nach die Erkenntnis durch, dass Frauen die gleichen Rechte zustehen wie den Männern!« Ich war aufgestanden, laut geworden, nicht gerade zornbebend, aber aufgebracht, ich beobachtete mich selbst, als stünde ich außerhalb von mir, wunderte mich über meinen Auftritt als Kämpfer für die Gleichberechtigung der Frauen, doch es gefiel mir, dem überraschten jungen Mann, in der Pose eines Danton einen Vortrag über Freiheit und Menschenrechte und gleichzeitig über Intoleranz und Borniertheit zu halten, und im Hinterkopf kauerte dunkel, doch von mir sehr wohl bemerkt, der Wunsch, in Doris’ Sinn zu handeln. »Die Frauen haben sich seit Jahrtausenden einreden lassen, sie seien dümmer als Männer, besäßen nicht deren handwerkliches Geschick, deren planerische und intellektuelle Fähigkeiten und so weiter. Alles Blödsinn! Man hat ihnen nie erlaubt, sich zu beweisen! Man hat es ihnen ganz einfach verboten, verdammt noch mal! Seit Jahrtausenden konnte sich jeder lebensuntüchtige Schwachkopf, der selbst zum Nasenbohren zu blöd war, zumindest als über den Frauen stehend betrachten. Theoretisch. Denn es gab immer Frauen, die der Männerwelt Paroli boten. Darunter ganz großartige Gestalten: Cleopatra, natürlich, Lady Godiva, Theophano, die für ihren minderjährigen Sohn Otto III. regierte und großen Einfluss auf die Politik hatte, die Pompadour, übrigens auch Kemal Atatürks Frau Latife, dann Bertha Suttner, Marie Curie, Rosa Luxemburg und viele andere. Und ich sage dir, in zwanzig Jahren wird das Frauenbild zumindest im Westen ein völlig anderes sein! Ich will jedenfalls keine Lebensgefährtin, die mich als ihren Boss ansieht!«
    Mein einziger Zuhörer fühlte sich, kalt geduscht von soviel Zorn und Belehrung, äußerst unwohl. Ob er sich verschämt eingestand, das Thema
so
noch nie betrachtet zu haben, ob es einfach nur meine auf ihn niederprasselnde Ungnädigkeit war, die ihn so bedrückt aussehen ließ, blieb mir verborgen, doch es war erkennbar, dass ihm auffiel, wie wenig er über dieses Land und seine Bewohner wusste und wie uninformiert er generell war. Ich ging davon aus, dass ihm die meisten der gerade aus mir herausgesprudelten Namen nichts sagten, von Cleopatra und Latife abgesehen, Marie Curie vielleicht noch. Aber natürlich, das fiel mir jetzt auf, lauter Namen, die zum Kanon der abendländischen Kultur gehörten und in Erzurum, Kalkutta oder Abidjan nicht unbedingt die gleiche Wichtigkeit besaßen. Andererseits, sagte ich mir, lebt er ja nicht in Erzurum oder Kalkutta, sondern hier.
    Das ging ihm, wie ich ja wusste, seit geraumer Zeit im Kopf herum, er bemühte sich, was mir auch bekannt war, um eine andere Sichtweise, ohne seine anatolischen Wurzeln kappen zu müssen, und meine sehr modernen, selbst von den Deutschen beiderlei Geschlechts mehrheitlich keineswegs akzeptierten Ansichten über die Gleichstellung der Frauen schienen ihn beeindruckt zu haben. Zum Teil jedenfalls. Er lenkte ab und sagte: »Aber der Wirt, der dich geschlagen hat, muss dafür büßen. Jedenfalls hab ich die Pistole mitgenommen.«
    Falls er jetzt ein Lob erwartet haben sollte, wurde er enttäuscht. Aus mir drang lediglich ein Seufzen. »Ich will niemanden umlegen, Bülent. Und einen Gastwirt schon mal überhaupt nicht. Gastwirte sind für mich nicht gerade Heilige, aber auf

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