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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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jeden Moment hinter mir auftauchen können. Verdammte Kälte. Für einen Moment versuchte ich mir vorzustellen, in einem heißen Land zu sein und den Hoteleingang hinter einer Palme verborgen, nur mit einer Badehose bekleidet und dennoch schwitzend, zu belauern. Glücklicherweise bereitete nasskalter Wind diesem Anflug von Eskapismus ein rasches Ende.
    Was soll das eigentlich?, fragte ich mich, dieses dämliche Hinter-dem-Baum-stehen-und-glotzen?, und verließ den Beobachtungsposten, ging aufrecht, schlendernd, ohne Angst vor Verfolgern, durch die Straßen, wurde mir dessen erst nach einiger Zeit bewusst und fühlte mich dabei so geborgen und wohl, als wäre ich einem Kriegsgebiet entronnen. Alles so friedlich. Hier war mir niemand auf den Fersen. Und dann das viele Geld. Noch etwa 4 000 Mark aus Friedberg, ein Haufen Dollars, insgesamt weitaus mehr als die Beute meines damaligen Bankraubs – und im Nachhinein kam es mir vor, als hätte ich die Kohle fast im Vorübergehen aufgesammelt oder als wäre sie mir in den Schoß gefallen, wie in einem unrealistischen Film, in dem das Fehlen der Logik durch kitschige Farben bemäntelt wurde. War mir die Glücksfee – oder wer, verdammt, auch immer – letzten Endes doch gewogen? Seit meiner frühesten Kindheit hatte ich Tagträume zum Überleben gebraucht, alle möglichen Träume, und diese, fast ohne mein Zutun, im Laufe der Jahre immer bunter und prächtiger werden lassen. Und nun, unglaublich, aber wahr, lag es in meiner Hand, sie zu verwirklichen. Doch die Vorstellung, in einem dicken Schlitten nach Süden zu fahren, wirkte mit einem Mal seltsam blass und undeutlich, wie ein unausgereiftes Projekt, für eine fernere Zukunft gedacht. In meinem Kopf hatte sich nämlich ein brandneuer Traum eingenistet: Doris, Bülent, Elvis und ich in einer geräumigen Wohnung. Die Familie. Dazu das eigene Geschäft. Eine Kneipe, so trendmäßig, Nostalgie-Stil, geile Musik. Oder ein Imbiss. Vielleicht mit Döner-Spieß und so. Gab’s ja bisher nur in den Türken-Vierteln der Großstädte. Aber Bülent, der so was schon mal angedeutet hatte, war sicher, dass man damit auch Deutsche in der Provinz glücklich machen könne. Ich war mir da nicht so sicher, denn Bülent fand jedes türkische Gericht einfach klasse, kannte die deutsche Küche so gut wie gar nicht, schon weil er diesbezüglich mit Vorurteilen mehr als gesättigt war und selbst dem deutschen Rindfleisch unterstellte, Schweinefleisch zu sein, hatte aber nicht bedacht, dass die Menschen in Aurich, Andernach oder Kempten womöglich genauso borniert sein könnten.
    Mir stach ein Plakat ins Auge:
    Weihnachtsfeier mit dem bekannten Elvis-Imitator Siegfried Rupf!
    Am Mittwoch, dem 21. Dezember 1977.
    Tolle Stimmung, Tombola, Tanz!
    Im Saal der Gaststätte D EUTSCHE E ICHE !!!
    Der Mann auf dem Foto sah beschissen aus – ein weiterer Elvis-Imitator im weißen Las-Vegas-Outfit und entsprechend alt, verlebt und fett, dessen traurigkomisches Aussehen, meine ohnehin gute Laune mit einer fetten Dosis Häme anreichernd, irgendwie entspannend auf mich wirkte. Zur Zeit versuchten sich überall beleibte Herren im sogenannten besten Alter als Imitatoren des späten Elvis. Es gab sogar Frauen, die wie der King aussehen wollten. Sie alle werden, dachte ich belustigt, die westliche Welt überschwemmen und späteren Generationen ein verzerrtes Elvis-Bild vermitteln.
    Fred hatte übrigens weitaus besser ausgesehen als Siegfried Rupf.
    Eine Gruppe älterer Damen mit prähistorischen Dauerwellen-Frisuren verließ gerade das Café, vor dem ich stand, und durch die geöffnete Tür strömte der Duft von Kaffee und frischem Kuchen, betörend, die Sinne verwirrend. Für einen Moment roch es wie an einem Sonntag in meiner Kindheit. Ich dachte an eine Tasse Kaffee und ein Stück Marmorkuchen und betrat, getrieben von kindlicher Vorfreude und wohlig-erregt, dem vertrauten Geruch blindlings folgend, den Raum.
    Da saß ja der Typ, Siegfried Rupf, genau, nicht gerade der ideale Name für einen Rock’n’Roller. Im Kostüm saß er da. Das ist doch lächerlich, dachte ich pikiert, um die Mittagszeit im Elvis-Kostüm herumzulaufen, das hätte Fred nie getan. Er hatte diese Kluft als reine Arbeitskleidung angesehen, der gute Fred. Und die Frau neben diesem Mehlsack, dachte ich erschüttert, kennst du doch von irgendwo her …
    Oh Gott, es war Doris! Moment mal. Was lief denn hier ab? Jetzt küsste sie ihn, den fetten Elvis-Imitator, und meine Stimmung stürzte aus

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