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Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman

Titel: Das Jahr der wundersamen Elvis-Vermehrung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dittrich Verlag GmbH
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Ihm sei mit greller Deutlichkeit aufgefallen, dass er, der in der Schule weitaus besser als der Durchschnitt der deutschen und türkischen Mitschüler gewesen sei, den Sprung in die Real- oder Oberschule nicht gewagt habe, weil ihn niemand in seinem türkischen Umfeld dazu ermutigte. Sobald wie möglich Geld verdienen, habe es geheißen. In einem türkischen Lebensmittelladen. Sein Vater, die Mutter und alle anderen hätten nur ans Hier und Jetzt gedacht und ihm dadurch nicht nur die Zukunft, sondern auch die Brücke zu den Deutschen verbaut. Das habe er seinen Eltern leider vorzuwerfen.
    »Ich guck mir jetzt die Stadt an«, sagte er, und es klang so bedeutungsschwer, als hätte er verkündet, die Sahara zu Fuß durchqueren zu wollen.
    »Aber lass die Pistole hier«, scherzte ich. Wir grinsten beide und waren froh, uns wieder nah zu sein.
    Die Weihnachtsfeier im Saal der Gaststätte
Deutsche Eiche
war recht gut besucht. Fünf Mark Eintritt inklusive Verzehrbon für ein Getränk. Die abstoßende Weihnachtsdekoration schockte mich keineswegs, da ich nichts anderes erwartet hatte. Ein DJ, der aussah, als hätte er schon den Ersten Weltkrieg bewusst erlebt, verwöhnte die Gäste, die mehrheitlich den Zweiten Weltkrieg bewusst erlebt hatten, mit Schlagern, die so großartige Titel hatten wie
Beiß nicht gleich in jeden Apfel, Sauerkraut-Polka
oder
Heiß ist die Liebe
und die Emotionen des Publikums befeuerten, was umgehend zu kollektiver Enthemmung und Schunkellaune führte.
    Bülent war zum ersten Mal auf einer Weihnachtsfeier und entsprechend verwirrt. Solche Lieder kannte er nicht. Er hegte die Befürchtung, durch sein türkisches Aussehen sofort als Nichtchrist erkannt und des Saales verwiesen zu werden. Ich beruhigte ihn. Die Stimmung hier sei so religiös wie auf einem Schützenfest, die meisten der Anwesenden würden demnächst garantiert stockbesoffen sein. Dann könne es allerdings, nicht zwangsläufig, aber möglicherweise, zu ausländerfeindlichen Ausfällen kommen. In dem Fall spiele es aber keine Rolle, ob das Ziel der Beleidigungen oder gar Tätlichkeiten Moslem, Hindu, Jude oder Animist sei.
    »Was sind Animisten?«
    »Ach, äh, Anhänger von Naturreligionen, die an die Beseelung aller Dinge glauben, die davon überzeugt sind, dass Pflanzen, alle Tiere und selbst die Erde eine Seele besitzen.« Ich war abgelenkt. An einem der vorderen Tische, in der Nähe der Bühne, saß Doris mit einer anderen Frau, vielleicht einer Kollegin. Zwischen den vorderen Tischen und der Bühne befand sich die Tanzfläche, auf der bereits einige grauhaarige Paare die Sau rausließen, als hätte man ihnen zur Begrüßung Speed verabreicht.
    »Hallo Doris.«
    Sie drehte den Kopf zu mir, überrascht, aber keineswegs peinlich berührt. Ganz im Gegenteil. Ein Freudenschrei, sie sprang auf und fiel mir um den Hals. Schon mal ein guter Auftakt. »Na, das ist ja ’ne Überraschung«, stieß sie aufgeregt hervor.
    »Wollte mal sehen, wie’s dir geht«, sagte ich nicht so cool wie geplant, sondern eher hölzern, mit belegter Stimme. »Das ist übrigens mein Freund Bülent. Wir wohnen im Hotel
Hanke
am Bahnhof.«
    Bülents Gesicht wirkte starr, sehr distanziert; das war aber nur die Maske, die er glaubte aufsetzen zu müssen, weil er vorher Haschisch geraucht hatte und nun im Hexenkessel einer deutschen Weihnachtsfeier und angesichts der legendären Doris fürchtete, den Überblick zu verlieren. Doris’ ausgestreckte Hand ergriff er so vorsichtig, als hätte man ihm eine Vase aus hauchdünnem Porzellan anvertraut. Er ließ die Hand auch gleich wieder los und gab ihr die Gelegenheit zu einer einladenden Geste.
    »Setzt euch doch zu uns.« Die Hand glitt weich durch die Luft und verharrte kurz, auf die andere Frau deutend. »Das ist Juana, eine Kollegin von mir.«
    Juana kam mir spanisch vor – im positiven Sinn. Hübsches, volles Gesicht, so was wie Babyspeck an den Wangen, Armen, Fingern und vermutlich auch an den nicht sichtbaren Körperteilen, jedenfalls alles sehr reizvoll, besonders die Augen, die dunkel glänzten, nicht gerade geheimnisvoll, aber Interesse weckend und Freundlichkeit ausstrahlend. Ich schätzte Juana auf höchstens zwanzig und wettete im Stillen mit mir, dass ihr Arsch ein Prachtstück sei.
    »Ein Bier und eine Cola.« Die Kellnerin, wie das ganze Personal der
Deutschen Eiche
mit einer blöden Weihnachtsmann-Mütze auf dem Kopf, nahm weihnachtlich grinsend meine Bestellung entgegen.
    »Die Cola bitte mit Whisky«,

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