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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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macht das? Wo ist meine Brieftasche?«
    »Du verstehst mich immer noch nicht. Dich kostet es nichts. Jemand anders bezahlt mich dafür.«

2
    Mein Großvater ist schuld. Als Kind lebte ich bei ihm im Harz. Schon damals konnte ich oft nicht genau sagen, wie ich mich fühlte. Ich fühlte mich nicht. Manchmal denke ich von einem Traum in den anderen zu fallen. Ich wache nie auf. Oder es gibt keinen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Traum. Ich existiere nur als Figur im Traum meines Großvaters. Als ich drei war, gaben meine Eltern mich zu ihm. Erst als ich zur Schule kam, durfte ich zurück nach Frankfurt.
    Ich wartete, lauschte Scottys Geräuschen aus dem Bad. Alles war deutlich zu hören, war normal. Die Ringe des Duschvorhangs klapperten. Der Kaltwasserhahn quietschte. Wie immer. Ich erwartete, mit dem Wasser würde ein Lachen perlen. Reingelegt. Alles nur ein Spiel. Komm schon, mach nicht so ein Gesicht.
    Aber das Rauschen des Wassers war doch anders als sonst, war wie Sandpapier auf Glas. Sie duscht kalt, dachte ich.
    Ich stand still, sah an mir herab. Ich war ein nackter Buchstabe, der nicht zum normalen Alphabet gehörte. Jetzt musste der Traum zu Ende sein, ein anderer beginnen. Ich presste die Augenlider zusammen, riss sie wieder auf. Alles blieb, wie es war. Vor allem die Empfindung, nicht richtig vorhanden zu sein.
    Ich lachte laut, weil es mir plötzlich gefiel, dass sie von jemandem bezahlt wurde, ich sie also kostenlos bekam. Ein Schnäppchen. Im gleichen Moment aber wünschte ich mir, sie wäre nicht käuflich gewesen, sondern ich hätte sie beeindruckt, sie wäre aus Liebe mit zu mir gekommen.
    Ich wäre gern normal.
    Ich stellte mich vor den Spiegel, betrachtete meinen nackten Körper. Hatte sich an mir etwas krankhaft verändert? Und für Scotty war es nun das Beste, abzuhauen beziehungsweise ab heute von mir Geld dafür zu nehmen?
    Es dauert immer eine Weile, bis ich mich im Spiegel erkenne. Ich bin gern bereit, mein Spiegelbild für einen anderen zu halten. Schon als Kind vermied ich es tagelang, hineinzuschauen, versuchte auch, nicht zufällig meine Körperteile in den Blick zu bekommen. Immer vermutete ich, etwas an mir zu entdecken, das anders war als bei allen anderen.
    Diesmal erschienen mir die Ausbeulungen in Hüfthöhe nicht nur als Zeichen für zu wenig Sport. Es konnten auch Wucherungen sein. Die Falten in meinem Gesicht: natürlich ein Hinweis auf Magenkrebs! Die gelbliche Haut: Leberzirrhose! Die Muskeln waren noch da, aber die ganze Haltung zeigte die Auflösung meiner Knochen. Ich war ein Todeskandidat! Mit mir gab es für Scotty keine Zukunft. Ich war der Einzige, der das nicht wusste. Alle Freunde hatten zusammengelegt, damit mein Körper vor meinem Tod noch einmal eine angenehme Woche mit einer Frau hatte. Ich besaß keine Freunde. Egal, ich lag im Sterben.
    Ich hielt mir die Hand vor Mund und Nase. Mein Atem roch schon wie ein frisch geschaufeltes Grab.
    Ich ging ein paar Schritte in Richtung Badezimmer. Da drinnen waren Medikamente, Vitamine, Mineralien. Es wäre das Beste, von allem ein wenig zu nehmen. Nach sechs Tagen im Bett mit einer Frau wie Scotty stirbt der normale Mann, wenn er nicht medikamentös behandelt wird. Eile war geboten.
    Ich legte das Ohr gegen die Badezimmertür. Sie duschte, oder sie ließ nur das Wasser rauschen, stand daneben, wartete auf meinen Tod. Sechs Tage lang hatte sie mich jeden Morgen gerufen. Immer hatte sie gewollt, dass ich ihr beim Duschen zusehe und ihr schließlich das Handtuch reiche. Ich beugte mich herab, wollte durchs Schlüsselloch sehen. Es ging nicht. Das Handtuch hing davor.
    »Scotty.« Ich sagte es so leise, dass sie es nicht hören konnte. »Ich brauche ein paar Medikamente.« Das war nicht ich.
    Sie rief mich nicht. Wieder quietschte der Wasserhahn. Sie stellte das Wasser ab.
    Ich öffnete die Tür einen Spalt weit.
    »Lass mich allein«, sagte sie.
    »Es ist nur, ich brauche ein paar Pillen. Dort im Schrank.«
    »Ist es so schlimm?«
    »Ja. Nein. Wenn du nicht willst, dass ich sie nehme ...« Ich schloss die Tür wieder, nahm ihr Lächeln mit. Es ist immer dasselbe. Alle Frauen haben mich nach kurzer Zeit verlassen. Es waren nicht viele. Die meisten blieben stumm, verschwanden, kamen nicht wieder. Wenn sie doch Erklärungen abgaben, verstand ich ihre Gründe nie. Sie sagten nicht die Wahrheit. Ich ahnte, woran es lag. Meine Gefühllosigkeit. Meine Leidenschaftslosigkeit.
    Aber jetzt das: Eine Frau, die mich verließ, weil das

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