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Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman

Titel: Das Jahr in dem ich beschloss meinen Grossvater umzubringen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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ganze Welt besteht aus Buchstaben.
    Der Kontrast zwischen meinem Büro und den Wohnräumen könnte nicht größer sein. Mit einem Schritt trete ich von einer Welt in eine vollkommen andere. Sie ist mir fremd. Das Büro entspricht mir mehr. In den Wohnräumen stehe ich oft herum, bin nicht wirklich vorhanden.
    Scotty fand zielstrebig das Schlafzimmer und meinen Kleiderschrank. Sie bestand darauf, mir persönlich die nasse Hose auszuziehen, dann das Hemd, die Unterhose und die Socken. Anschließend zog sie sich den rot gestreiften Pulli über die roten Haare, zog die rote Hose, den roten BH und den roten Slip aus. Alles nahm seinen Gang. Seit sieben Tagen. Alles rot. Ich glaube, sie badete in Henna. Wenn man das kann.
    Scotty war die erste Frau, die ich am Tresen einer Hotelbar kennenlernte. Ich hatte immer gedacht, so etwas gibt es nur im Film, weil alle Drehbuchautoren sich in ihren Hotelzimmern wünschen, dass es so einfach wäre, Frauen kennenzulernen. Man fährt mit dem Fahrstuhl hinunter, geht an die Bar, und da sitzen sie. Man sucht sich eine aus und nimmt sie mit ins Bett. In der Wirklichkeit findet man dort nur Männer, meist angetrunken, die über nicht anwesende Frauen reden. In einigen Hotelbars sitzen allerdings auch Frauen allein, mit Genehmigung der Geschäftsführung. Prostituierte oder Hausfrauen, die sich gelegentlich ... Erst in diesem Moment drangen ihre Worte so weit in mein Gehirn vor, dass ich sie begriff. Ich richtete mich auf.
    »Was hast du gesagt?«
    »Ich werde dafür bezahlt, bei dir zu sein.«
    Ich versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, ob es ein Spiel war.
    »Du willst Geld ...«
    »Nein. Ich hab es schon bekommen. Und ich wollte es dir nur sagen, weil heute der letzte Tag ist«, erklärte sie. »Und wenn ich gehe, möchte ich nicht, dass du hinter mir herläufst.«
    Sie öffnete den Haarvorhang, sah mich aber nicht an, sondern malte mit einem Finger ein Zeichen auf das Betttuch, etwa so, als würde sie mit jemandem telefonieren und dabei Strichmännchen zeichnen.
    »Der letzte Tag? Hab ich tausend Jahre lang geschlafen?« Ich setzte mich auf.
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich so. Ich wurde bezahlt. Jetzt muss ich noch einen Bericht schreiben und Schluss.«
    »Einen Bericht!« Jetzt war klar, dass sie nur einen Scherz machte.
    »Du glaubst mir nicht?«
    Ich ging auf ihr Spiel ein. »Was wirst du schreiben? Vielleicht dies: Liebes Tagebuch, ich hab einen seltsamen Mann an einer Hotelbar kennengelernt. Ich bin mit zu ihm gegangen, und dann ...«
    »Hör auf. Es ist wahr.«
    »Was ist wahr?«
    »Ich werde gehen und niemals wiederkommen.«
    »Scotty, mach keinen Unsinn.«
    »Es tut mir leid, aber es war immer nur auf Zeit. Sieben Tage.« Sie presste die Lippen aufeinander.
    »Du meinst das ernst?«
    Sie nickte.
    »Was hab ich falsch gemacht?«
    Sie schwieg, hob die Brauen. Die färbte sie auch. Eine rot, eine gelb.
    »Scotty, komm, das muss ein Witz sein. Das kannst du nicht tun. Einen Bericht schreiben? Was willst du damit sagen?«
    Sie legte sich auf den Rücken, breitete die Arme aus, blickte an mir vorbei und biss sich auf die Lippen.
    »Scotty, ich bin irgendwie krank in deiner Gegenwart. Willst du, dass ich dir sage, dass ich dich liebe? Ja? Willst du das?« Erst jetzt fiel mir ein, dass diese Vorgänge in meinem Körper genau das sein konnten, was allgemein mit Liebe bezeichnet wurde. Bisher hatte noch kein Mensch von mir verlangt, ihm gegenüber von Liebe zu sprechen.
    Sie drückte beide Handflächen gegen die Ohren.
    »Ich liebe dich Scotty. Ist es das? Muss ich das sagen? Ich liebe dich, ehrlich. Ich sage es ja schon: Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.«
    »Hör auf mit dem Unsinn.«
    »Scotty, was willst du?«
    Sie legte einen Finger auf die Lippen. »Bitte!«
    »Willst du geheiratet werden?«
    »Sei ruhig.«
    »Willst du ein Kind? Frauen in deinem Alter wollen manchmal ein Kind. Du bist jetzt Mitte dreißig, da sind solche Gedanken normal für eine Frau. Ich könnte darüber nachdenken. Ehrlich. Warum nicht ein Kind? Meinetwegen ein Kind ...«
    Sie setzte sich auf, ließ das Betttuch fallen.
    »Hör schon auf mit dem Unsinn. Ich sage doch: Ich werde dafür bezahlt, dass ich bei dir bin. Mehr nicht.« Sie erhob sich, ging in Richtung Bad.
    »Ich kann es nicht glauben, aber gut, ich gebe auf. Wie viel kriegst du? Du hättest es mir von Anfang an sagen sollen. Ich dachte, unsere Beziehung wäre ganz normal. Gut, gut, muss ich eben bezahlen. Sieben Tage, wie viel

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