Das Jahrhundert der Hexen: Roman
dass Priw ein Tschugeist war; nachdem ihm das endlich gelungen war, setzte er sich selbst an seine Stelle. Unwillkürlich presste er die Lippen aufeinander. Oh, oh …
»Du musst dich ausruhen«, sagte er zu Ywha. »Morgen steht uns ein wichtiger Tag bevor. Man hat drei Hexen aus Odnyza gebracht, die sich zusammengerottet haben. Erinnerst du dich noch, was ich dir über das Grundmotiv gesagt habe? Darüber, worauf es uns ankommt?«
Schweigend starrte Ywha zum dunklen Fenster hinaus. Er wartete ihre Antwort nicht ab, ging in sein Arbeitszimmer und rief Hljur an. Er gab einige Befehle, hörte sich den Bericht seines Stellvertreters an und knirschte mit den Zähnen. Tapfer widerstand er der Versuchung, sich Ywha zu schnappen und auf der Stelle mit ihr in den Palast zu fahren, um sofort mit der Arbeit zu beginnen. Als er ins Zimmer zurückkam, stand sie da wie zuvor.
»Weißt du, was das Zeichen der Pumpe ist?«
Ohne sich umzudrehen, schüttelte Ywha den Kopf.
»Es ist ein Zeichen, das man auf der Kleidung, manchmal auch auf der Haut ausführt. Wenn man es auf die Haut malt, stirbt das Opfer innerhalb von vierundzwanzig Stunden an vollständigem Kraftverlust, Austrocknung und Salzverlust. Es auf die Kleidung aufzubringen ist einfacher und auch praktischer. Dann saugt das Zeichen den Menschen, der sie trägt, in kleinen Portionen aus. Seine Kraft geht auf die Hexe über, die das Zeichen ausgeführt hat.«
Langsam drehte Ywha den Kopf um.
»In Egre hat man ein Atelier entdeckt, eine exklusive Schneiderwerkstatt«, fuhr Klawdi bedächtig fort. »Die Frauen haben das Zeichen unter dem Futter der Jacketts eingearbeitet. Sie haben sich reiche junge Männer ausgesucht, die es zu etwas gebracht hatten. Nachdem sie jahrelang Kleidung mit diesem Zeichen getragen hatten, sind sie jetzt völlig ausgezehrt. Die genaue Zahl ihrer Kunden lässt sich nicht mehr ermitteln. Aber die Schneiderinnen waren zu gierig. Sie haben nämlich angefangen, alle Kleidungsstücke mit dem Zeichen zu versehen. Elf Todesfälle in einer Woche … Daraufhin wurde die Schneiderei entdeckt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie fett die dortigen Hexen geworden sind. Es waren zwei, um genau zu sein.«
Ywha schluckte. Ihr dünner Hals ruckte.
»Im Dorf Koschtscha … Das ist nur zweihundert Kilometer von Wyshna entfernt: unser Umland, wenn du so willst. Dort wurde ein Initiationssaal entdeckt. In einer Tiefgarage. Zwanzig aktive Hexen wurden verhaftet. Zwanzig, Ywha! So viele haben wir früher in einem halben Jahr festgenommen! Im gesamten Kreis! Ist dir überhaupt klar, was das heißt?«
»Ja.« Der gesenkte Rotschopf nickte zögernd. »Ich soll schneller als Spiegel arbeiten. Ich soll dieses Grundmotiv ausfindig machen. Also werde ich es suchen, was habe ich denn sonst für eine Chance?«
Klawdi wollte schon sagen, sie könne auch ablehnen, wenn es ihre Kräfte übersteige, brachte jedoch kein Wort über die Lippen. Schließlich war es nötig, die Mutterhexe zu finden. Sie musste gefunden werden, egal mit welchen Mitteln.
»Ywha, versteh doch! Ich will, dass du mir als meine Gefährtin nicht nur blind gehorchst. Deshalb werde ich dir jetzt etwas erzählen: Vor vierhundert Jahren hatte der Großinquisitor der Stadt Wyshna, Herr Atryk Ol, die Angewohnheit, wertvolles Papier mit seinen Notizen über die Geschehnisse des Tages zu beschreiben. Seinen letzten Eintrag machte er früh am Morgen – und am Abend desselben Tages brannte er im Namen der Mutterhexe. Ich werde dir ein Buch geben, Ywha. Seine Aufzeichnungen sind nämlich entziffert und für den internen Gebrauch in einer Auflage von fünfhundert Exemplaren gedruckt worden.«
Wieder nickte der Rotschopf, allerdings ohne jede Begeisterung.
»Ywha«, seufzte Klawdi. »Ich lasse jetzt einen Wagen kommen, und du fährst … zu dir. Du nimmst ein Bad und gehst schlafen.«
Sie hob den Kopf.
Ihre geröteten Augen hatten sich zu zwei bösen Schlitzen verengt. Die zusammengepressten Lippen erinnerten an einen feinen Faden. Sie atmete tief ein, als wolle sie etwas sagen, schwieg dann aber. Neuerlich presste sie die Lippen aufeinander und wandte sich ab.
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Klawdi leise.
Ywha zuckte nur die Achseln, um ihm damit zu signalisieren, er dürfe keine Erklärungen von ihr erwarten.
»Ich verstehe dich nicht«, wiederholte Klawdi, diesmal in erstauntem Ton. »Was habe ich dir denn jetzt schon wieder getan? Habe ich deinen kostbaren Willen eingeschränkt? Dich unterdrückt?
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