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Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Das Jahrhundert der Hexen: Roman

Titel: Das Jahrhundert der Hexen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Dyachenko , Marina Dyachenko
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der Erwartung eines Jetons.
    Klawdi durchwühlte seine Taschen. Er hatte aber keine Jetons. Allerdings gehörte die Nummer zu den wenigen, die man umsonst anrufen konnte.
    Der Schlüssel. Der Schlüssel von der Mietwohnung. Der Schlüssel von der Tür, hinter der schmerzlich stöhnend … Nein, besser, er dachte nicht mehr daran. Der Schlüssel brannte sich in seinen Finger. Bloß weg damit!
    Das metallene Bund klimperte in dem eisernen Mülleimer. Klaw empfand keinerlei Erleichterung.
    Unerschütterlich hallte der Kosmos in der Telefonzelle wider. Klaw blickte zu dem einzigen Stern hoch, der nicht von Wolken und den hohen Dächern verdeckt war. Wenn das Weltall eine Stimme hätte, wäre es die einer leeren Telefonzelle, und diese Stimme sagte: Wähle!
    Vier Zahlen. Jeder Bürger kannte sie: Eins, eins, eins, eins!
    Der Hörer sprang auf die Gabel zurück. Nein!
    Ein entsetzlicher Laut zwängte sich durch die geschlossene Tür zu ihm – und erklang gleich noch einmal, als Echo in seinem Gedächtnis. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten.
    »Präg dir die Nummer gut ein, Bürger! Wir sorgen dafür, dass du in Ruhe leben kannst. Wähle vier Mal die Eins. Mit fester Hand.«
    Er lachte. Mit fester Hand! Wie leicht man sich doch den größten Mist einprägt, ganz wie damals diese Kinderverse.
    Etwas unterhalb der Tasten hatte eine feste Hand eine Nummer eingeritzt. Und ein schweinisches Graffito dazu.
    Der Hörer legte sich an sein Ohr wie eine Pistole an die Schläfe – ohne seinen Einfluss …
    Der Zeigefinger tippte vier Mal auf die Eins.
    Ein kurzes Läuten. »Zentrale des Tschugeister-Dienstes«, meldete sich eine höfliche Frauenstimme. »Was kann ich für Sie tun?«
    Er schwieg.
    »Zentrale des Tschugeister-Dienstes. Was kann ich für Sie tun?«
    Klaw zog die Gabel nach unten. Mit einer solchen Kraft, dass er sie beinah aus der Verankerung gerissen hätte.
    »Mach das Telefon nicht kaputt.«
    Wie kalt es war. Wie kalt es plötzlich war.
    Klaw erstarrte, den Blick unverwandt auf das Graffito gerichtet. In der Telefonzelle wurde es dunkel. Denn ein Schatten fiel in sie hinein.
    »Klawdi Starsh, Wyshnaer Schule Nr. 3. Der nächtliche Vernichter von Münztelefonen.«
    Klaw drehte sich um.
    Ihm fiel wieder ein, wo sie sich schon begegnet waren. An der Zufahrt zur Hauptstraße, als die Polizeistreife sie kontrolliert hatte und Klaw etwas von einer Prostituierten zusammengelogen hatte, woraufhin der Fahrer, der Djunka und ihn mitgenommen hatte, sie erstaunt und mit einer tüchtigen Portion Ekel angeblickt hatte. Es waren zwar zwei Tschugeister gewesen, gesprochen hatte aber hauptsächlich der größere von beiden.
    »Ein komischer Zufall, nicht wahr, Klaw? Du hast noch nicht mal die Nummer zu Ende gewählt, und schon sind wir da. In voller Montur.« Auf seinem Handteller, der in einem schwarzen Handschuh steckte, lag ein Schlüssel. Genau der, den Klaw vor drei Minuten in den Müll geworfen hatte. »Ja, Klawdi Starsh. Einmal hast du mich getäuscht. An der Nase herumgeführt. Das ist vor dir noch niemandem gelungen. Du wirst es noch weit bringen. Klawdi Starsh …« Die durchscheinenden Augen des Tschugeistes kamen näher. »Du wirst es noch weit bringen, denn du bist, obwohl du mich getäuscht hast, immer noch am Leben. Meinen Glückwunsch.«
    Klaw schloss die Augen.
     
    Die Straße, die tief unter ihm dahinströmte. Die dunkelrote Schnauze einer Diesellok. Ein Föhn, der in einen Berg aus Schaum abtauchte.
    Von außen betrachtet, sah das alles schrecklich aus. Trotzdem fürchtete er sich jetzt am allermeisten davor, Freude zu empfinden.
    In wenigen Minuten würde etwas zerstört werden, das sein Leben in eine einzige Qual verwandelt hatte.
    Eins wusste er: Wenn er jetzt auch nur einen Schatten von Erleichterung empfand, würde er sich das nie verzeihen. Dann würde er sich selbst nicht mehr in die Augen sehen können und das Recht verlieren, sich einen Mann zu nennen: Klaw zu heißen.
    Und er fühlte auch keine Erleichterung.
    Überhaupt hatte er die Fähigkeit eingebüßt, etwas zu empfinden. Er stand bloß da und stierte. Auf das Fenster im vierzehnten Stock. Hörte die bedächtigen Schritte im Treppenhaus, das Wummern des Lastfahrstuhls.
    Dann kamen sie wieder heraus.
    Und sie kam mit ihnen. Ohne dass die Tschugeister sie zerrten.

8
    … Im Mondlicht wirkte die Kuh porzellanen. Genau wie Ywha selbst, ein weißer nackter Körper, vollkommen und fremd. Sie lief neben der schweigenden Kuh einher, murmelte

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