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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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«Es gab mal eine Zeit, vor Jahren, da wurde gemunkelt, dass der alte Bekemeier und meine Mutter, nun ja, etwas miteinander hätten. Wenn er Ihnen komisch vorkam, dann liegt es wahrscheinlich daran. Er dachte wohl, Sie wüssten es. Und es war ihm peinlich. Dumm von mir, dass ich es Ihnen nicht gesagt habe.»
    «Aha», sagte ich. «Ja, das klingt plausibel. Heute Nachmittag besuche ich Ihre alte Freundin. Die, die Sie damals umständehalber haben sitzenlassen.»
    «Denken Sie dran, Bernie. Sie darf nicht erfahren, dass das Geld von mir ist. Sonst würde sie es womöglich nicht annehmen.»
    «Das sagten Sie schon. Ein anonymer Wohltäter.»
    «Danke, Bernie. Ich weiß es wirklich zu schätzen.»
    «Keine Ursache», sagte ich. Und legte auf.
    Kurz darauf ging ich wieder nach draußen und fuhr mit dem Einserbus im Uhrzeigersinn um den Ring bis zum Hotel de France, um dort zu Mittag zu essen. Das Hotel war für jedermann offen, obwohl es immer noch von den Franzosen requiriert war. Was eigentlich dagegen sprach. Auf der anderen Seite war das Essen dort, laut dem Concierge in meinem Hotel, das beste in ganz Wien. Und außerdem befand sich mein nächster Anlaufpunkt gleich um die Ecke.

29
    Als ich in die Liechtensteinstraße im Herzen des Neunten Bezirks kam, wurde es bereits dämmrig, was für Wien immer die beste Zeit ist. Die Bombenschäden, die verglichen mit München nicht groß und verglichen mit Berlin nichtig sind, fallen dann nicht mehr auf, und man kann sich Wien leicht als die prächtige Kaiserstadt denken, die es einmal war. Der Himmel war jetzt violettgrau, und es hatte aufgehört zu schneien, was jedoch die Leute nicht davon abhielt, bei Moritz, gleich neben dem Apartmenthaus, wo Vera Messmann wohnte, Skistiefel zu kaufen.
    Ich betrat das Haus und begann, die Treppe zu erklimmen, was mir ein Leichtes gewesen wäre, hätte ich nicht gerade erst eine Lungenentzündung überstanden und außerdem viel zu gut gegessen. Ihre Wohnung war ganz oben, und ich musste mehrmals stehen bleiben und verschnaufen, wobei ich meinen Atem in weißen Wölkchen aus meinem Mund quellen sah. Das Metallgeländer war so kalt, dass meine Hand daran kleben blieb. Als ich endlich oben war, schneite es wieder, und die Flocken trafen das Treppenhausfenster wie weiche, weiße Geschosse aus dem Gewehr eines himmlischen Scharfschützen. Ich lehnte mich an die Wand und wartete, bis mein Atem sich so weit beruhigt hatte, dass ich wieder sprechen konnte. Dann klopfte ich an Fräulein Messmanns Tür.
    «Mein Name ist Gunther, Bernie Gunther», sagte ich, während ich höflich den Hut zog und ihr eine meiner Münchner Geschäftskarten hinhielt. «Keine Angst, ich will nichts verkaufen.»
    «Das ist gut», sagte sie. «Weil ich nämlich nichts kaufe.»
    «Sind Sie Vera Messmann?»
    Sie musterte kurz meine Karte, dann mich. «Kommt ganz drauf an», sagte sie.
    «Worauf denn zum Beispiel?»
    «Darauf, ob Sie glauben, dass ich es war.»
    «Dass Sie was waren?» Es störte mich nicht, dass sie mich aufzog. Von einer attraktiven Brünetten geneckt zu werden, gehört zu den angenehmeren Seiten meines Berufs.
    «Ach, Sie wissen schon. Die, die Roger Ackroyd ermordet hat.»
    «Nie gehört.»
    «Agatha Christie», sagte sie.
    «Auch noch nie gehört.»
    «Lesen Sie denn keine Bücher, Herr –» Sie sah wieder auf die Karte. «Gunther.»
    «Nie», sagte ich. «Es ist furchtbar schlecht fürs Geschäft, wenn es sich anhört, als wüsste ich mehr, als meine Kunden mir sagen. Die meisten wollen jemanden, der kein Polizist ist, sich aber wie einer benimmt. Sie wollen keinen, der Schiller zitiert.»
    «Na ja, immerhin haben Sie von dem schon mal gehört», sagte sie.
    «Von Schiller? Klar. Das ist der Bursche, der gesagt hat, in der Täuschung lebt die Wahrheit fort. Dieses Zitat hängt über jeder Detekteitür. Er ist der Schutzpatron aller Detektive.»
    «Kommen Sie doch herein, Herr Gunther», sagte sie und ging einen Schritt zur Seite. «Schließlich gilt ja, wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten. Das ist auch von Schiller, falls Sie’s noch nicht wussten. Er ist nämlich nicht nur der Schutzpatron der Detektive, sondern auch der der alleinstehenden Frauen.»
    «Man erfährt doch jeden Tag etwas Neues», sagte ich und trat an ihr vorbei. Ihr Parfüm gefiel mir.
    «Nein, nicht jeden Tag», sagte sie und schloss die Tür hinter mir. «Noch nicht mal jede Woche. Nicht in Wien. Zumindest nicht in letzter Zeit.»
    «Vielleicht sollten Sie sich eine

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