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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ein braves Kaminfeuer leise vor sich hin brannte, wie es Feuer in Anwaltskanzleien immer tun, vielleicht weil sie Angst haben, sonst mit Brennverbot belegt zu werden.
    «Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?», sagte er.
    Ich streifte den Mantel ab und sah zu, wie er ihn an einen Mahagoni-Garderobenständer hängte. Dann setzten wir uns an einen mächtigen Schreibtisch, er dahinter und ich davor, auf einem Knopfpolster-Lederstuhl, der der kleine Bruder seines Schreibtischsessels war.
    «Ehe wir zur Tat schreiten», sagte er, «werden Sie verzeihen, wenn ich Sie mit der Feststellung Ihrer Identität behelligen muss. Ich fürchte, der schiere Umfang der Hinterlassenschaften Ihrer verstorbenen Frau Mutter erfordert ein besonderes Maß an Vorsicht. Unter diesen außergewöhnlichen Umständen werden Sie gewiss verstehen, dass ich mich der Rechtmäßigkeit Ihrer Ansprüche versichern muss. Dürfte ich bitte Ihren Pass sehen?»
    Ich griff bereits nach Grüns Reisepass. Unter ihrer aktenstudiumsbleichen Haut sind doch alle Anwälte gleich. Sie werfen keine Schatten und schlafen in Särgen. Ich reichte ihm wortlos den Pass.
    Er schlug ihn auf und inspizierte ihn, blätterte ihn ganz durch und kehrte dann wieder zu dem Foto und der Beschreibung des Inhabers zurück. Ich ließ ihn kommentarlos mein Gesicht und anschließend das Foto mustern. Irgendetwas zu sagen, hätte bereits Verdacht wecken können. Leute neigen immer zur Geschwätzigkeit, wenn sie etwas Krummes machen und nervös werden. Ich hielt die Luft an, genoss es, die Cognacdämpfe immer noch in meinen Atemwegen zu fühlen, und wartete.
    «War’s das?», fragte ich. «Ist die ordnungsgemäße Identifizierung beendet?»
    «Nicht ganz.» Er schlug eine Akte auf seinem Schreibtisch auf, konsultierte etwas Maschinengeschriebenes auf der obersten Seite und schloss die Akte dann wieder. «Meinen Informationen zufolge erlitt Erich Grün 1938 einen Unfall, bei dem er die beiden obersten Glieder des kleinen Fingers seiner linken Hand einbüßte. Dürfte ich bitte Ihre linke Hand sehen, Herr Doktor?»
    Ich beugte mich vor und legte die linke Hand auf seine Schreibunterlage. Auf meinem Gesicht lag ein Lächeln, obwohl da wohl eher ein Stirnrunzeln hätte sein müssen, denn plötzlich kam es mir merkwürdig vor, dass Grüns Handverletzung schon so lange zurücklag und er in Zusammenhang mit diesem ganzen Schwindelunternehmen nicht ausführlicher darauf eingegangen war. Irgendwie war ich, offenbar fälschlich, davon ausgegangen, dass er seinen kleinen Finger im Krieg verloren hatte, durch denselben Pak-Treffer, der ihn auch die Milz und das Gefühl in den Beinen gekostet hatte. Und dann war da die Tatsache, dass Dr.   Bekemeier so präzise über Grüns kleinen Finger informiert war. Mir ging plötzlich auf, dass ich ohne dieses Detail nie in Erich Grüns Identität hätte schlüpfen können. Mit anderen Worten, mein Finger, oder vielmehr sein Nichtvorhandensein, war wesentlich wichtiger, als ich hatte ahnen können.
    «Es scheint ja alles in Ordnung», sagte er endlich lächelnd. Wobei mir zum ersten Mal auffiel, dass er keine Augenbrauen hatte und dass sein Haupthaar wie eine Perücke aussah. «Es gibt da natürlich ein paar Papiere, die Sie unterzeichnen müssen, in Ihrer Eigenschaft als nächster Hinterbliebener, Herr Grün. Und auch, damit Sie den Kontokorrentkredit bei der Bank einrichten können, bis das Testament vollstreckt ist. Wobei ich da mit keinerlei Problemen rechne. Ich habe das Testament selbst aufgesetzt. Wie Sie ja vielleicht wissen, hat Ihre Mutter ihre Bankgeschäfte zeitlebens über das Bankhaus Spängler getätigt, und natürlich erwartet man dort bereits, dass Sie vorbeikommen und die Abhebungen vornehmen, die Sie in Ihrem Telegramm spezifiziert haben. Der Filialleiter, Herr Trenner, ist sehr hilfsbereit.»
    «Ich werde mich an ihn wenden», sagte ich.
    «Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie im Erzherzog Rainer logieren, Herr Doktor?»
    «Ja. Suite dreihundertfünfundzwanzig.»
    «Eine kluge Wahl, wenn ich das sagen darf. Der Direktor, Herr Bentheim, ist ein Freund von mir. Sie müssen uns beiden Bescheid sagen, wenn wir irgendetwas tun können, um Ihnen den Aufenthalt hier in Wien angenehmer zu gestalten.»
    «Danke.»
    «Der Trauergottesdienst findet morgen um elf Uhr in der Karlskirche statt. Das ist nicht weit von Ihrem Hotel. Am anderen Ende der Gusshausstraße. Die Beisetzung ist unmittelbar danach, in der Familiengruft auf dem Zentralfriedhof.

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