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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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vielleicht ins Maul geschaut. Und dann hätten sie Odysseus und seine griechischen Kumpane dort drinnen hocken sehen.» Sie lächelte. «Die Vorteile einer humanistischen Bildung.»
    «Da haben Sie recht», sagte ich. «Aber ich kann mir schwer vorstellen, wie Sie das in diesem konkreten Fall anstellen könnten.»
    «Das liegt nur daran, dass Sie ein Polizist sind, der kein Polizist ist», sagte sie. «Oh, ich will ja nicht unhöflich sein, aber wenn Sie etwas mehr Phantasie hätten, könnten Sie doch eine Möglichkeit finden, wie ich dem Pony, das Sie hier anschleppen, mal etwas auf den Zahn fühlen könnte.»
    Sie nahm mir die Selbstgedrehte aus den Fingern und zog noch einmal kurz daran, ehe sie sie im Aschenbecher ausdrückte. Dann setzte sie die Brille ab und beugte sich zu mir, bis ihr Mund nur noch zwei Fingerbreit von meinem entfernt war.
    «Weit aufmachen», sagte sie, öffnete selbst Lippen und Zähne und presste ihren üppigen Mund auf meinen.
    Wir küssten uns eine ganze Weile. Als sie sich schließlich von mir löste, fragte ich: «Und? Was haben Sie entdeckt? Irgendwas von einem griechischen Helden zu erspähen?»
    «Ich habe noch nicht überall nachgesehen», sagte sie. Und im Aufstehen fasste sie mich an der Hand und zog mich ebenfalls hoch.
    «Wo gehen wir jetzt hin?», fragte ich.
    «Helena nimmt Sie mit in ihr Boudoir», sagte sie.
    «Sind Sie sicher?» Ich blieb stehen und krümmte die Zehen, um mich besser im Teppich zu verankern. «Vielleicht bin ich ja jetzt dran, Kassandra zu spielen. Wenn ich etwas mehr Phantasie hätte, würde ich vielleicht glauben, dass ich einfach gut genug aussehe, um diese Art Gastfreundschaft auf mich zu ziehen. Aber wir wissen beide, dass dem nicht so ist. Vielleicht sollten wir das hier verschieben, bis Sie Ihre fünfundzwanzigtausend haben.»
    «Ich weiß Ihren Einwand zu schätzen», sagte sie, ohne meine Hand loszulassen. «Aber ich bin auch kein blutjunges Ding mehr, Herr Gunther. Lassen Sie mich Ihnen ein bisschen von mir erzählen. Ich bin Korsettmacherin. Und zwar eine gute. Ich habe ein Geschäft in der Wasagasse. Meine Kundschaft besteht natürlich nur aus Frauen. Die meisten Männer, die ich gekannt habe, sind entweder tot oder versehrt. Sie sind der Erste körperlich intakte, einigermaßen gutaussehende Mann, mit dem ich seit einem halben Jahr rede. Der letzte Mann, mit dem ich mehr als zwei Dutzend Worte gewechselt habe, war mein Zahnarzt, und die nächste Kontrolluntersuchung ist schon eine ganze Weile überfällig. Er ist siebenundsechzig und hat einen Klumpfuß, was wahrscheinlich der einzige Grund dafür ist, dass er noch lebt. Ich werde in zwei Wochen neununddreißig und mache bereits Abendkurse in Altjüngferlichkeit. Ich habe sogar eine Katze, einen Kater vielmehr. Er ist natürlich gerade draußen. Führt ein spannenderes Leben als ich. Heute hat das Geschäft schon früher zu. Aber meistens komme ich abends nach Hause, koche mir was, lese einen Kriminalroman, nehme ein Bad, lese noch ein bisschen und gehe dann ins Bett, allein. Einmal in der Woche gehe ich in Maria am Gestade, und ab und zu hole ich mir die Absolution für das, was ich scherzhaft meine Sünden nenne. Na, ist das Bild jetzt deutlicher?» Sie lächelte, ein wenig bitter, wie mir schien. «Auf Ihrer Geschäftskarte steht, dass Sie aus München sind, was wohl bedeutet, wenn Sie Ihre Geschäfte hier in Wien erledigt haben, werden Sie wieder dorthin zurückkehren. Das heißt, wir haben höchstens drei oder vier Tage. Das Schillerzitat über die vielen Bedenken, das war absolut ernst gemeint.»
    «Dass ich wieder nach München zurückfahre, stimmt», erklärte ich. «Ich glaube, Sie würden selbst eine ganz gute Detektivin abgeben.»
    «Ich fürchte allerdings, Sie würden es als Korsettmacher nicht weit bringen.»
    «Sie würden staunen, was ich alles über Korsetts weiß», sagte ich.
    «Das hoffe ich doch», sagte sie. «Jedenfalls gedenke ich es herauszufinden. Habe ich mich klar ausgedrückt?»
    «Sehr.» Ich küsste sie wieder. «Trägst du ein Korsett?»
    «Nicht mehr lange», sagte sie und sah auf ihre Uhr. «In etwa fünf Minuten wirst du es mir ausziehen. Du weißt doch, wie man einer Frau ein Korsett auszieht, oder? Du fummelst einfach nur all die kleinen Häkchen aus all den kleinen Ösen, bis du einen trockenen Mund kriegst und mich atmen hörst. Du könntest natürlich versuchen, es mir einfach vom Leib zu reißen. Aber meine Korsetts sind erstklassig. Die reißen nicht so

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