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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ich. «Ja, ich weiß genau, was Sie meinen.»
    Es folgte Schweigen, und schließlich verdunstete Bekemeiers Lächeln wie ein beschlagener Fleck auf einer Fensterscheibe.
    «Tja», sagte ich. «Dann sollte ich wohl mal diese Papiere unterzeichnen, was?»
    «Ja. Ja, natürlich. Gut, dass Sie es sagen. Über all diesen netten Erinnerungen hätte ich fast die Hauptsache vergessen.»
    Das bezweifelte ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Bekemeier irgendetwas vergaß, außer vielleicht Weihnachten oder den Geburtstag seiner kleinen Tochter, vorausgesetzt, jemand mit nur einem Chromosomenpaar konnte irgendetwas anderes zeugen als einen schleimigen Vertreter der juristischen Tümpelfauna.
    Er öffnete eine Schublade, entnahm ihr ein Schreibetui und diesem wiederum einen goldenen Pelikanfüller, den er mir mit beiden Händen wie einen Marschallstab überreichte. Es folgten zwei bis drei Dutzend Papiere, unter die ich ein perfektes Faksimile von Grüns Unterschrift setzte. Das hatte ich in Garmisch geübt, damit meine Unterschrift der im Pass entsprach. Was Bekemeier prompt nachprüfte. Dann gab ich den Füller zurück, stand auf, da wir offensichtlich mit den Amtshandlungen fertig waren, und nahm meinen Mantel vom Garderobenständer.
    «Es war mir ein Vergnügen, Dr.   Grün», sagte er und verbeugte sich wieder. «Ich werde immer bemüht sein, den Interessen Ihrer Familie zu dienen. Darauf können Sie sich verlassen, Herr Doktor. Genau wie auf meine Diskretion, Ihren Aufenthaltsort betreffend. Es wird zweifellos Anfragen geben, wie man Sie erreichen kann. Seien Sie versichert, dass ich sie aufs energischste zurückweisen werde.» Er schüttelte indigniert den Kopf. «Diese Wiener. Sie leben in zwei Welten. Die eine ist die Realität. Die andere ist die Welt der Gerüchte und Klatschgeschichten. Je mehr Geld im Spiel ist, desto heftiger die Gerüchte, fürchte ich. Aber was soll man da machen, Herr Doktor?»
    «Ich bin Ihnen sehr dankbar für alles», sagte ich. «Und wir sehen uns morgen, bei der Trauerfeier.»
    «Sie kommen also?»
    «Sagte ich das nicht schon?»
    «Doch, sicher. Entschuldigen Sie. Ehrlich gesagt, Herr Doktor, mein Gedächtnis ist nicht mehr das, was es mal war. Es ist schrecklich, das als Anwalt einem Mandanten gegenüber eingestehen zu müssen, aber so ist es. Es war schwer für uns hier in Wien, nach dem Krieg. Wir mussten alle auf dem Schwarzmarkt handeln, nur um zu überleben. Manchmal denke ich, ich habe so vieles vergessen. Und dann wiederum denke ich, es ist das Beste so. Gerade für mich als Anwalt. Ich muss aufpassen. Auf meinen Ruf. Auf das Ansehen der Kanzlei. Ich lebe hier ja im russischen Sektor. Sie verstehen sicher, was ich meine.»
    Ich ging zu Fuß ins Hotel zurück und kapierte nur, dass Bekemeier etwas an sich hatte, was ich nicht kapiert hatte. Mir war, als hätte ich versucht, einen Aal zu fassen. Jedes Mal, wenn ich dachte, ich hätte ihn, war er mir wieder entschlüpft. Ich beschloss, Grün später am Telefon von meiner seltsamen Konversation mit Bekemeier zu erzählen, wenn ich ihm verkünden würde, dass das Treffen mit dem Anwalt glattgegangen und seine Erbschaft so gut wie auf dem Konto war.
    «Wie ist das Wetter in Wien?», fragte er am Telefon. Er klang wie jemand, den Geld nicht sonderlich interessierte. «Hier hat es letzte Nacht heftig geschneit. Heinrich ist schon dabei, seine Ski zu wachsen.»
    «Hier schneit es auch», vermeldete ich.
    «Wie ist das Hotel?»
    Ich sah mich in meiner Suite um. Grün hatte sich nicht lumpen lassen. «Ich warte immer noch, dass der Spähtrupp aus dem Bad zurückkommt und mir sagt, wie es dort aussieht», sagte ich. «Und bis auf das Echo ist alles prima.»
    «Engelbertina steht hier neben mir», sagte er, «und sagt, dass ich liebe Grüße bestellen soll. Und dass sie Sie vermisst.»
    Ich biss ein Fetzchen Haut von der Innenseite meiner Unterlippe. «Ich sie auch», log ich. «Hören Sie, Erich, dieses Telefonat kostet Sie ein Vermögen, also komme ich jetzt mal zur Sache. Ich war, wie gesagt, bei Bekemeier, und alles ist bestens gelaufen. Er scheint demnach überzeugt, dass ich Sie bin.»
    «Gut, sehr gut.»
    «Aber da war irgendwas Komisches. Er hat sich die ganze Zeit um irgendwas herumgedrückt. Ich bin nicht dahintergekommen, was es sein könnte. Haben Sie eine Ahnung?»
    «Ja, ich glaube, ich kann es mir denken.» Er lachte höhnisch, dann klang er plötzlich verlegen, so als hätte er sich unerlaubterweise mein Auto ausgeborgt.

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