Das Janusprojekt
«Stadt» in diesem Fall ein unzureichendes Wort schien. Kairo schien so viel mehr zu sein als nur eine Metropole. Es war wie eine Insel – ein historisches, religiöses und kulturelles Herzland, eine Stadt, die das Vorbild aller später entstandenen Städte war und zugleich ihr Gegenentwurf. Kairo faszinierte und beängstigte zugleich.
Ich nahm mir ein Zimmer im National im Ismailiya-Viertel, keine halbe Meile östlich des Nils und des Ägyptischen Museums. Feivel Polkes ging ins Savoy am südlichen Ende derselben Straße. Das National war kaum kleiner als ein stattliches Dorf, mit Zimmern, so groß wie Kegelbahnen. Einige dienten als verräucherte Hukah-Höhlen, wo nicht weniger als ein Dutzend Araber im Schneidersitz auf dem Boden saßen und an großen Wasserpfeifen saugten. Die Halle dominierte ein mächtiges Reuters-Anschlagbrett, und wenn man die Gästelounge betrat, rechnete man schon fast damit, Lord Kitchener in einem Sessel sitzen zu sehen, Zeitung lesend und seinen Schnurrbart zwirbelnd.
Ich hinterließ Eichmann eine Nachricht und traf mich dann später mit ihm und Hagen in der Hotelbar. Sie waren in Begleitung eines weiteren Deutschen – Dr. Franz Reichert vom Deutschen Nachrichtenbüro in Jerusalem, der sich aber bald entschuldigte, da er, wie er sagte, an Magenbeschwerden litt.
«Vielleicht was Falsches gegessen», sagte Hagen.
Ich klatschte nach einer Fliege, die sich auf meinem Hals niedergelassen hatte. «Oder was Falschem als Nahrung gedient.»
«Wir waren gestern Abend in einem bayerischen Restaurant», erzählte Eichmann. «Beim Hauptbahnhof. War aber leider nicht sonderlich bayerisch. Das Bier war in Ordnung. Aber das Wiener Schnitzel war vom Pferd, würde ich sagen. Wenn nicht sogar vom Kamel.»
Hagen stöhnte und hielt sich den Magen. Ich erklärte, ich hätte Feivel Polkes mitgebracht und er wohne im Savoy . «Da hätten wir auch hingehen sollen», beschwerte sich Hagen. Dann sagte er: «Warum Polkes nach Kairo gekommen ist, weiß ich ja. Aber warum sind Sie hier, Papi?»
«Zum einen hatte ich das Gefühl, dass unser jüdischer Freund nicht recht glauben wollte, dass Sie wirklich hier sind», sagte ich. «Also sehen Sie es als Zeichen guten Willens. Zum anderen waren meine Geschäfte schneller erledigt, als ich gedacht hatte. Und da habe ich mir gesagt, dass eine solche Chance, Ägypten zu sehen, wohl nicht so bald wiederkommt. Ergo bin ich jetzt hier.»
«Danke», sagte Eichmann. «Ich weiß es zu schätzen, dass Sie ihn hergebracht haben. Sonst hätten wir ihn wahrscheinlich gar nicht mehr getroffen.»
«Gunther ist ein Spitzel», sagte Hagen. «Warum sollten wir ihm irgendwas glauben?»
«Wir haben wieder versucht, Visa für Palästina zu beantragen», sagte Eichmann, ohne auf Hagens Einwand einzugehen. «Und sie wurden uns wieder verweigert. Morgen probieren wir es nochmal. Vielleicht erwischen wir dann einen Konsularbeamten, der nichts gegen Deutsche hat.»
«Die Briten haben nichts gegen Deutsche», erklärte ich ihm. «Sie haben was gegen Nazis.» Ich schwieg, aber als mir aufging, dass dies eine gute Gelegenheit war, mich bei ihnen lieb Kind zu machen, sagte ich: «Aber wer weiß, vielleicht war ja der Beamte vom letzten Mal Jude.»
«Eher nicht», sagte Eichmann. «Ich glaube, er war Schotte.»
«Hören Sie», sagte ich im Ton müder Aufrichtigkeit. «Ich weiß nicht, warum ich nicht ehrlich sein sollte. Es war nicht Ihr Chef, Franz Six, der mich beauftragt hat, Sie zu bespitzeln. Es war Gerhard Flesch. Von der Judenabteilung der Gestapo. Er hat mir gedroht, Nachforschungen über meine rassische Abstammung anzustellen, wenn ich’s nicht tue. Was natürlich reiner Bluff ist. In meiner Familie gab es keine Juden. Aber Sie kennen ja die Gestapo. Die können einen durch alle möglichen Reifen springen lassen, bis man bewiesen hat, dass man kein Jude ist.»
«So nichtjüdisch wie Sie sieht doch kaum jemand aus, Gunther», sagte Eichmann.
Ich sagte achselzuckend: «Er sucht Beweise dafür, dass Ihr Referat korrupt ist. Na ja, ich hätte es ihm natürlich sagen können, bevor wir abgereist sind. Das mit meinem Gespräch mit Six und Begelmann, meine ich. Aber ich hab’s nicht getan.»
«Und was werden Sie ihm sagen?», fragte Eichmann.
«Nicht viel. Dass Sie beide kein Visum bekommen haben. Dass ich gar keine Gelegenheit hatte, mehr mitzukriegen, als dass Sie bei Ihren Spesenabrechnungen mogeln. Ich meine, irgendwas muss ich ihm ja erzählen.»
Eichmann nickte. «Ja,
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