Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
die Kabine, zog den Vorhang hinter mir zu und kniete mich neben Vera, um mich zu vergewissern, dass sie wirklich tot war. Aber ihre Haut war ganz kalt, und meine Finger konnten unter dem Strumpf die Halsschlagader nicht ertasten. Vera war schon mehrere Stunden tot. Da war verkrustetes Blut in ihren Nasenlöchern, am Zahnfleisch und seitlich auf dem Gesicht. Ich sah jede Menge Kratzspuren und Fingerdruckstellen um ihr Kinn und in der Nähe des Strumpfknotens. Ihre Augen waren geschlossen. Mir waren schon betrunkene Frauen begegnet, die schlimmer aussahen, obwohl sie noch lebten. Veras Haar war zerzaust, und ihre Brille lag kaputt auf dem Boden. Der Hocker der Anprobekabine war umgeworfen, und der Wandspiegel hatte einen großen Sprung. Ganz offensichtlich hatte sie sich heftig gewehrt, ehe sie ihr Leben gelassen hatte. In diesem Schluss wurde ich noch bestärkt, als ich ihre Hände anhob und die Abschürfungen an den Knöcheln entdeckte. Es sah aus, als hätte sie es geschafft, ihrem Angreifer einen heftigen Boxhieb zu versetzen. Vielleicht sogar mehrere.
    Ich erhob mich, sah mir den Fußboden an und erspähte eine Zigarettenkippe. Ich hob sie auf. Es war eine Lucky, und das war gar nicht gut für mich. In meinem Hotelzimmer stand ein Aschenbecher, voll mit Lucky-Kippen. Ich steckte den Zigarettenstummel ein. Es gab schon genügend Indizien, die gegen mich sprachen, da brauchte ich der Polizei nicht noch weitere zu schenken. Vera und ich hatten letzte Nacht Sex gehabt. Ich hatte kein Kondom benutzt. Sie hatte gesagt, es sei sicher – auch ein Grund, warum sie so scharf darauf gewesen war, mit mir ins Bett zu gehen. Die Gerichtsmediziner würden meine Blutgruppe feststellen.
    Ich sah mich nach Veras Handtasche um, in der Hoffnung, darin ihren Hausschlüssel zu finden. Ich musste in ihre Wohnung gehen und meine Geschäftskarte wieder an mich nehmen. Aber die Tasche war nicht da. Ob der Mörder sie mitgenommen hatte? Wahrscheinlich der Mann, der sich letzte Nacht Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft hatte. Ich verfluchte mich dafür, dass ich die Schnur mit dem Schlüssel abgerissen hatte. Sonst hätte ich jetzt einfach aufschließen können. Mit Sicherheit würde die Polizei meine Karte finden. Und mit Sicherheit würde die Nachbarin, die mich, nur in Hosen und mit einem Hockeyschläger bewehrt, in Veras Wohnung hatte zurückkehren sehen, der Polizei eine prima Personenbeschreibung liefern können. Die würde sich mit der Aussage der Frau decken, die mich erst vor ein paar Minuten durchs Schaufenster hier im Laden gesehen hatte. Kein Zweifel, ich steckte ganz schön in der Klemme.
    Ich knipste die Lampe aus, ging im Laden umher und wischte mit einem Miederhöschen alles ab, was ich angefasst hatte. Natürlich würden meine Fingerabdrücke überall in ihrer Wohnung sein, aber ich sah nicht ein, warum ich sie auch noch am Tatort hinterlassen sollte. Ich öffnete die Ladentür, wischte die Klinke ab, machte die Tür wieder zu und schloss sie ab, ließ dann die Jalousien an Tür und Schaufenster herunter. Mit etwas Glück blieben mir noch ein, zwei Tage, bis man sie finden würde.
    Eine Hintertür führte auf den Hof. Ich schlug den Mantelkragen hoch, zog mir den Hut tief ins Gesicht, nahm die Ledertasche mit Veras Geld und ging leise hinaus. Es wurde inzwischen dunkel, und ich hielt mich in der Mitte des Hofs, möglichst weit weg von den erhellten Fenstern und einem Streifen frühen Mondlichts. Auf der anderen Seite nahm ich einen schmalen Durchgang und trat durch ein Tor auf ein Quersträßchen zur Wasagasse hinaus. Es war die Horlgasse, und aus irgendeinem Grund kam mir das bekannt vor. Horlgasse. Horlgasse.
    Ich ging nach Südosten, zum Rooseveltplatz. Mitten auf dem Platz stand eine Kirche. Die Votivkirche, erbaut, um Gott dafür zu danken, dass er seine Hand über den jungen Kaiser Franz Josef bei einem Attentatsversuch gehalten hatte. Irgendwie war mir, als hätte der Rooseveltplatz einst Hermann-Göring-Platz geheißen. Ich hatte schon eine ganze Weile nicht mehr an Göring gedacht. 1936 war er kurzzeitig Kunde von mir gewesen. Aber die Horlgasse ging mir immer noch im Kopf herum. Horlgasse. Horlgasse. Und dann fiel es mir ein. Horlgasse. Das war Britta Warzoks Adresse, jedenfalls die, die man mir gegeben hatte. Und zugleich die Adresse, die sich auf dem Notizblock in Major Jacobs’ Buick durchgedrückt hatte. Ich nahm mein Notizbuch heraus und sah die Hausnummer nach. Ich hatte sowieso vorgehabt, Britta Warzoks

Weitere Kostenlose Bücher