Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
Erfahrung im Ordnungshüten als ein Pfadfinderführer. Und ich wollte nicht erschossen werden, nur weil ein frischgebackener Polizist nervös wurde. Ich gab ihnen vorsichtig Grüns Pass und nahm dann wieder die Hände hoch.
    «Ich bin ein Freund von Frau Warzok», sagte ich und schnupperte. Es war nicht nur die Wohnung, die stank. Es war die ganze Situation. Wenn die Polizei hier war, musste etwas Schlimmes passiert sein. «Hören Sie, ist mit ihr alles in Ordnung? Wo ist sie?»
    Der zweite Polizist inspizierte immer noch den Pass. Ich hatte weniger Angst, dass er mich nicht für den rechtmäßigen Inhaber halten könnte. Ich fürchtete vielmehr, er könnte wissen, was Grün zur Last gelegt wurde.
    «Hier steht, Sie sind aus Wien», sagte er. «Sie sprechen aber gar nicht Wienerisch.» Er hatte ein schiefes Dauergrinsen, das in Gegenrichtung zu seiner schiefen Nase verlief. Wahrscheinlich dachte er, es gäbe ihm etwas Ironisches oder gar Skeptisches, aber es wirkte einfach nur seltsam verzerrt. Seine gesamten rezessiven Gene schienen sich dort zu konzentrieren, wo sein Kinn hätte sein sollen. Und der Haaransatz über seiner hohen Stirn verlief parallel zu einer langen S-förmigen Narbe. Er gab mir den Pass zurück.
    «Ich habe vor dem Krieg zehn Jahre in Berlin gelebt», sagte ich.
    «Arzt, hm?»
    «Ja.»
    «Ihr Hausarzt?»
    «Nein. Hören Sie, wer sind Sie? Und wo ist Frau Warzok?»
    «Polizei», sagte der mit dem Hütchen und zückte eine Marke. «Deutschmeisterplatz.»
    Das leuchtete ein. Das Kommissariat am Deutschmeisterplatz war keine hundert Meter von hier.
    «Sie ist da drin», sagte der mit der Narbe.
    Die beiden steckten ihre Pistolen weg und führten mich in ein gekacheltes Badezimmer. Es stammte noch aus Zeiten, als ein Badezimmer kein Badezimmer war, wenn dort nicht eine ganze Fußballmannschaft baden konnte. Aber jetzt war da nur eine einzige Frau. Sie lag in der Badewanne und war nackt, bis auf einen einzelnen Nylonstrumpf, der um ihren Hals geknotet war. Der Knoten hätte zwar Alexander den Großen nicht sonderlich lange aufgehalten, war aber durchaus zweckdienlich. Die Frau war tot. Erdrosselt. Außer der Tatsache, dass ich sie noch nie gesehen hatte, konnte ich nicht viel feststellen, da der Geruch nicht zu längerem Verweilen einlud. Der Leichnam wie auch das Wasser, in dem er lag, waren schleimig grün. Und da waren Fliegen. Komisch, dass auf Leichen immer Fliegen sitzen, selbst bei der größten Eiseskälte.
    «Lieber Gott», sagte ich und taumelte zurück wie jemand, der die letzte Leiche während seines Medizinstudiums gesehen hat und nicht erst vor einer knappen halben Stunde. Und diesmal hielt ich mir die Hand vor die Nase. Das Höschen ließ ich schön in meiner Tasche. Meine Reaktion war nicht nur simuliert, der Geruch setzte mir wirklich zu. Ich ging schnell wieder ans offene Fenster und beugte mich in die frische Luft hinaus. Aber es war ganz gut, dass es mich erst mal würgte. Sonst wäre mir womöglich rausgerutscht, dass die Leiche im Bad gar nicht Britta Warzok war. Und das hätte alles verdorben, denn der Polizist mit dem Hut sagte jetzt:
    «Tut mir leid, dass Sie es auf diese Weise erfahren haben», sagte er und kam zu mir ans Fenster. Die beiden hatten es geöffnet, das war jetzt klar. «Für mich war es auch ein ziemlicher Schock. Als Junge hatte ich bei Frau Warzok Klavierstunden.» Er zeigte auf ein Klavier hinter der Tür. «Wir hatten sie selbst gerade erst gefunden, als Sie hereinkamen. Die Nachbarn unten drunter haben die Polizei benachrichtigt, wegen des Geruchs und des nicht geleerten Briefkastens.»
    «Woher kannten Sie sie?», fragte der andere. Er beäugte meine Reisetasche, fragte sich wahrscheinlich, was sie enthielt.
    Ich erfand meine Geschichte beim Reden, versuchte, irgendwie eine plausible Kausalkette zu konstruieren. Der Leichnam im Bad sah aus, als läge er vielleicht seit einer knappen Woche dort im Wasser. Das würde ich als Ausgangspunkt nehmen.
    «Ich kannte ihren Mann», sagte ich. «Friedrich. Vor dem Krieg. Bevor er –» Ich zuckte die Achseln. «Vor einer Woche etwa erhielt ich einen Brief von ihr. In meinem Haus in Garmisch. Sie schrieb, sie sei in Schwierigkeiten. Ich konnte nicht gleich weg aus meiner Praxis. Bin erst jetzt in Wien angekommen. Und direkt hierhergekommen.»
    «Haben Sie den Brief noch?», fragte der mit der Narbe.
    «Nein, den habe ich leider in Garmisch gelassen.»
    «Was für Schwierigkeiten?», fragte er. «Hat sie das

Weitere Kostenlose Bücher