Das Janusprojekt
ist alles. Einen angemessenen Lohn für unsere Treue. Darum geht es. Vielleicht war das, was Sie getan haben, ja richtig, gnädiger Herr. Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen. Aber es ist nur recht und billig, dass Sie anerkennen, was Sie uns schuldig sind. Zum Beispiel dafür, dass wir der Polizei nicht sagen, wo Sie jetzt wohnen. Garmisch, stimmt’s? Sehr hübsch. Ich war selbst noch nie dort, aber ich habe gehört, dass es da schön sein soll.»
«Wie viel?»
«Fünfundzwanzigtausend Schilling, gnädiger Herr. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt. Wirklich nicht.»
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Jetzt war klar, dass Erich Grün nicht offen zu mir gewesen war und dass es in seiner Vergangenheit etwas gab, weswegen die Alliierten sich für ihn interessierten. Oder war er doch ehrlich gewesen? Konnte es die Hinrichtung dieser Kriegsgefangenen in Frankreich sein, die Engelbertina erwähnt hatte? Warum nicht? Schließlich hatten die Alliierten ja Dutzende von SS-Leuten wegen des Malmedy-Massakers in Landsberg eingesperrt. Warum also nicht ein anderes Massaker, an dem Erich Grün beteiligt gewesen war? Eins war jedenfalls klar: Ich musste Medgyessi so lange hinhalten, dass ich mit Grün sprechen konnte. Im Moment blieb mir wohl nichts anderes übrig, als mich auf die Erpressung des Butlers einzulassen. Jetzt, wo meine sämtlichen Papiere auf den Namen Erich Grün lauteten, konnte ich wohl kaum auf einmal wieder Bernie Gunther sein.
«Gut», sagte ich. «Aber ich brauche etwas Zeit, um das Geld aufzutreiben. Das Testament ist noch nicht eröffnet.»
Sein Gesicht wurde härter. «Verkaufen Sie mich nicht für dumm, gnädiger Herr», sagte er. « Ich würde Sie nie verraten. Aber die Frau – das ist ein anderes Paar Stiefel. Wie Sie ja wohl bei der Beerdigung mitgekriegt haben. Sagen wir vierundzwanzig Stunden? So haben Sie mehr als genug Zeit, zum Bankhaus Spängler zu gehen und alles Nötige zu veranlassen.»
«Gut», sagte ich. «Bis morgen, vierzehn Uhr.» Ich hielt ihm die Tür auf, und er humpelte hinaus wie ein einsamer Walzertänzer. Eins musste ich ihm lassen: Er und seine Frau machten das sehr hübsch. Guter Bulle, böser Bulle. Und das ganze Gesülze von wegen der Treue. Richtig gut. Vor allem die Art und Weise, wie er ganz beiläufig das Bankhaus Spängler und Garmisch erwähnt hatte.
Ich schloss die Zimmertür, griff zum Telefon und bat die Hoteltelefonistin, mich mit Henkells Haus am Sonnenbichl zu verbinden. Nach wenigen Minuten rief sie zurück und erklärte mir, dort melde sich niemand. Also nahm ich Mantel und Hut und fuhr mit dem Taxi in die Dorotheengasse.
Die meisten Häuser in dieser engen Kopfsteinpflastergasse waren bereits wieder instand gesetzt. Am einen Ende befand sich eine gelbverputzte Kirche mit einem Turm wie eine V-2 und am anderen ein prunkvoller Brunnen mit einer Dame, die sich den falschen Tag ausgesucht hatte, um in Wien ohne Oberteil zu gehen. In dem mächtigen Barockportal wirkte die grüne Eingangstür des Bankhauses wie der Führerzug, der in einem Tunnel stecken geblieben war. Ich teilte dem befrackten Portier mit, zu wem ich wollte, und betrat dann, den Anweisungen folgend, einen Raum, der die Halle des Bergkönigs hätte sein können. Begleitet vom Echo meiner Schritte, das wie das Läuten einer gesprungenen Glocke klang, erklomm ich eine Treppe von der Breite einer Autobahn.
Der Filialleiter, Herr Trenner, erwartete mich bereits am oberen Ende der Stufen. Er war jünger als ich, sah aber aus, als wäre er schon mit grauem Haar, Brille und Maßanzug zur Welt gekommen. Er war so kriecherisch wie wilder Wein. Die Hände ringend, als hoffte er, die Milch der frommen Denkungsart aus seinen Fingerspitzen zu pressen, führte er mich in einen Raum mit einem Tisch und zwei Stühlen. Auf dem Tisch lagen fünfundzwanzigtausend Schilling und, wie telegraphisch veranlasst, noch ein kleinerer Stapel Scheine für meine unmittelbaren Unkosten. Neben dem Tisch, auf dem Fußboden, stand eine schlichte lederne Reisetasche für den Transport des Geldes. Trenner händigte mir einen Schlüssel zu dem Raum aus, erklärte, dass er mir, solange ich im Hause sei, zur Verfügung stehe, verbeugte sich feierlich und ließ mich dann allein. Ich steckte den kleineren Geldstapel ein, schloss die Tür ab und ging wieder nach unten, um am Eingang auf Vera Messmann zu warten. Es war jetzt zehn vor drei.
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Ich wartete bis halb vier, dann befand ich, dass Vera Messmann inzwischen wohl
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