Das Janusprojekt
dass irgendjemand dem Starnberg’schen Haushalt gewisse Sparmaßnahmen auferlegt hatte.
«Mein Sohn Vincenz», sagte der Baron. «In dieser Uniform könnte man ihn nur zu leicht für das schwarze Schaf meiner Familie halten. Aber das ist er nicht, Herr Gunther. Ganz und gar nicht. Vincenz war immer so ein sanftmütiger Junge. Hat im Chor gesungen und hatte so viele Tiere, dass man sich in seinen Zimmern fühlte wie im Zoo.»
Das gefiel mir: seinen Zimmern. Das sagte doch eine Menge über die Kindheit des Vincenz von Starnberg. Und mir gefiel auch, wie der Baron sprach: so wie die Leute in Deutschland gesprochen hatten, ehe sie Wörter wie «Lucky Strike», «Coca-Cola», «okay», «Jitterbug», «Bubble-Gum» und, was das Schlimmste war, «Buddy» in ihren Sprachschatz aufgenommen hatten.
«Sind Sie Vater, Herr Gunther?»
«Nein, Herr Baron.»
«Tja, was soll ein Vater über seinen einzigen Sohn sagen? Eines weiß ich mit Gewissheit: Er ist nicht annähernd so schwarz, wie er dargestellt wurde. Ich bin sicher, Sie verstehen das, Herr Gunther. Sie waren doch selbst SS-Mann, nicht wahr?»
«Ich war Polizist, Herrn Baron», sagte ich mit einem schmalen Lächeln. «Bei der Kripo bis 1939, als wir aus Gründen der Effizienzsteigerung – jedenfalls wurde uns das gesagt – mit der Gestapo und dem SD zum Reichssicherheitshauptamt gemacht wurden. Ich fürchte, wir hatten da alle keine große Wahl.»
«Nein, wahrhaftig nicht. Leuten eine Wahl zu lassen, war nie Hitlers Stärke. Wir alle mussten Dinge tun, die wir vielleicht nicht tun wollten. Mein Sohn auch. Er war Jurist. Ein vielversprechender Jurist. Er ging ’36 zur SS. Anders als bei Ihnen war es seine eigene Entscheidung. Ich habe ihm zur Vorsicht geraten, aber es ist nun mal das Privileg der Söhne, nicht auf ihre Väter zu hören. Das erwarten wir Väter ja von unseren Söhnen. Und es ist der Grund, warum wir alt und grau werden. 1941 wurde er stellvertretender Leiter einer motorisierten Tötungseinheit in Litauen. So, jetzt habe ich das Kind beim Namen genannt. Sie haben irgendwie anders dazu gesagt. Sondereinsatz oder so ähnlich. Aber der Auftrag war Massenmord. Unter normalen Umständen hätte sich Vincenz auf etwas so Schreckliches nie eingelassen. Aber wie viele andere auch, fühlte er sich an seinen Treueschwur auf den Führer als das deutsche Staatsoberhaupt gebunden. Sie müssen verstehen, dass er das, was er getan hat, aus Achtung vor dem Eid und vor dem Staat getan hat, aber immer unter schärfster innerer Ablehnung.»
«Sie meinen, er hat nur Befehle befolgt», sagte ich.
«Genau», sagte der Baron und überhörte meinen sarkastischen Ton willentlich oder unwillentlich. «Befehl ist Befehl. Daran ist nicht zu rütteln. Leute wie mein Sohn sind Opfer historischer Werturteile, Herr Gunther. Und nichts besudelt die Ehre Deutschlands mehr als diese Gefangenen in Landsberg. Zu denen auch mein Sohn gehört. Diese Rotjacken, wie die Presse sie nennt, sind das größte Hindernis für die Wiedererlangung unserer nationalen Souveränität. Und die müssen wir erlangen, wenn wir je, wie es die Amerikaner wollen, zur Verteidigung des Westens beitragen sollen. Ich spreche natürlich von dem bevorstehenden Krieg gegen den Kommunismus.»
Ich nickte höflich. Das war die zweite Vorlesung in zwei Wochen. Aber diese hier war leichter zu verstehen. Baron von Starnberg hatte etwas gegen die Kommunisten. Um das zu begreifen, brauchte man sich nur umzuschauen. Wenn ich hier gewohnt hätte, hätte ich auch etwas gegen die Kommunisten gehabt. Nicht, dass ich sie mochte. Aber da ich sehr wenig besaß, hatte ich mit ihnen nun mal mehr gemeinsam als mit dem Baron, der so viel besaß. Und der nicht in die Tasche greifen und Amerika helfen würde, den Krieg gegen die Kommunisten zu gewinnen, solange Amerika seinen Sohn wie einen gewöhnlichen Kriegsverbrecher behandelte.
«War sein Prozess schon?», fragte ich.
«Ja», sagte der Baron. «Er wurde im April ’48 zum Tode verurteilt. Aber auf ein Gnadengesuch bei General Clay hin wurde das Urteil in lebenslange Haft umgewandelt.»
«Dann weiß ich wirklich nicht, was ich da tun sollte», sagte ich höflich und unterließ es, hinzuzusetzen, dass aus meiner Sicht das schwarze Schaf derer von Starnberg schon glimpflicher davongekommen war, als es realistischerweise zu erwarten gewesen wäre. «Er bestreitet doch nicht, was er getan haben soll, oder?»
«Nein, gar nicht», sagte der Baron. «Wie ich schon sagte, war seine
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