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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Verteidigung hauptsächlich auf Force majeure gegründet. Er konnte nicht anders handeln, als er es getan hat. Jetzt wollen wir dem Militärgouverneur vor Augen führen, dass Vincenz persönlich nichts gegen Juden hatte. Wissen Sie, nach dem Examen wurde Vincenz Juradozent an der Universität Heidelberg. Und 1934 hat er dafür gesorgt, dass die Gestapo nicht weiter gegen einen Studenten vorging, der Juden bei sich zu Hause Unterschlupf gewährt hatte. Der Name dieses Studenten war Wolfgang Stumpff, und ich möchte, dass Sie ihn finden, Herr Gunther. Sie müssen ihn finden, damit wir seine Aussage über diese Heidelberger Judenangelegenheit einem Gesuch um Vincenz’ vorzeitige Freilassung beilegen können.» Der Baron seufzte. «Mein Sohn ist erst siebenunddreißig, Herr Gunther. Da liegt doch das Leben noch vor ihm.»
    Ich nahm mir noch etwas vom exzellenten Schnaps des Barons, um den faden Geschmack in meinem Mund wegzuspülen. Außerdem hielt es mich von der taktlosen Bemerkung ab, dass Vincenz immerhin noch ein Leben vor sich hatte, ganz im Gegensatz zu den litauischen Juden, deren Ermordung er befehligt hatte, wenn auch nur aus Achtung vor seinem Treueschwur als SS-Offizier. Inzwischen hegte ich kaum noch Zweifel, dass ich diesen neuen Kundenkontakt Erich Kaufmann verdankte.
    «Sie sagen, das war 1934, Herr Baron?», fragte ich. Er nickte. «Da ist ja inzwischen eine ganze Menge Wasser die Würm runtergeflossen. Woher wissen Sie, dass dieser Stumpff noch lebt?»
    «Weil meine Tochter Helene Elisabeth diesen Wolfgang Stumpff vor zwei Wochen in einer Münchner Tram gesehen hat.»
    Ich tat mein Bestes, meine Überraschung nicht durchklingen zu lassen. «Ihre Tochter saß in einer Tram?»
    Der Baron lächelte matt, als wäre ihm die Absurdität dieser Vorstellung bewusst. «Nein, nein», sagte er. «Sie saß im Auto. Kam gerade aus der Glyptothek, dem Skulpturenmuseum. Der Wagen hielt an einer Ampel, und als sie aufblickte, sah sie ihn im Fenster einer Tram. Sie ist sich da ganz sicher.»
    «Aus der Glyptothek», sagte ich. «Die ist doch im Museumsviertel? Mal sehen. Da fährt die Acht vom Karlsplatz nach Schwabing. Die Drei und die Sechs, ebenfalls nach Schwabing. Und die Siebenunddreißig von der Hohenzollernstraße zum Max-Denkmal. Ich nehme an, sie erinnert sich nicht mehr, welche Linie es war?» Der Baron schüttelte den Kopf, und ich tat es ihm nach. «Macht nichts. Ich finde ihn.»
    «Ich zahle Ihnen tausend Mark, wenn Sie ihn finden», sagte er.
    «Prima, aber wenn ich ihn gefunden habe, liegt alles Weitere bei Ihnen und Ihren Anwälten, Herr Baron. Ich werde für Ihren Sohn nicht den Advokaten machen. Es ist besser so. Besser für Ihren Sohn, aber vor allem besser für mich. Ich schlafe so schon schlecht genug, auch ohne dass ich mich für einen Massenmörder einsetze.»
    «Ich bin es nicht gewohnt, dass man so mit mir redet, Herr Gunther», sagte er pikiert.
    «Sie sollten sich besser dran gewöhnen, Herr Baron», sagte ich. «Wir sind jetzt eine Republik, oder haben Sie das vergessen? Außerdem bin ich der Mann, der weiß, wie das Ass im Ärmel Ihres Sohnes zu finden ist.» Das war reiner Bluff, damit seine Nase nicht noch spitzer wurde. Mit meinem Gewissen vor ihm herumzuwedeln wie ein Matador mit seinem Cape war ein Schritt zu viel gewesen. Jetzt musste ich ihn überzeugen, dass Unverblümtheit nun mal zu meinen kleinen Eigenheiten zählte, dass ich dem Auftrag aber mehr als gewachsen war. «Ich bin froh, dass Sie mir diese Prämie in Aussicht stellen, denn diese Sache wird höchstens ein paar Tage dauern, und bei zehn Mark pro Tag plus Spesen würde es sich sonst für mich kaum lohnen.»
    «Aber wie soll das gehen? Ich habe ja selbst schon versucht, Nachforschungen anzustellen.»
    «Ich könnte es Ihnen verraten. Aber damit würde ich mich um einen Auftrag bringen. Natürlich werde ich mit Ihrer Tochter sprechen müssen.»
    «Selbstverständlich. Ich werde Sie ankündigen.»
    In Wirklichkeit hatte ich keine Ahnung, wo ich anfangen sollte. In München lebten 821   000 Menschen. Die meisten waren katholisch und ziemlich verschwiegen, selbst im Beichtstuhl.
    «Brauchen Sie sonst noch etwas?», fragte er. Meine Unverschämtheit war jetzt vergessen.
    «Sie könnten mir einen Vorschuss geben», sagte ich. «Für dreißig Mark bekommen Sie den Rest meiner Woche und die beruhigende Gewissheit, dass das Gesuch um die Freilassung Ihres Sohnes schon so gut wie auf dem Weg nach Landsberg ist.»

5
    In

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