Das Janusprojekt
Ihre rassische Abstammung Gegenstand genauerer Nachforschungen würde», sagte er und drückte seine Zigarette in meinem Aschenbecher aus. Als er sich auf seinem Stuhl vorbeugte und wieder zurücklehnte, quietschte sein Ledermantel so laut, als hätte er ihn gerade erst im Souvenirladen der Gestapo gekauft.
«Meine Eltern waren beide brave Kirchgänger», sagte ich. «Ich kann mir nicht denken, dass Sie da irgendwas gegen mich finden würden.»
«Ihre Urgroßmutter mütterlicherseits», sagte er. «Es besteht die Möglichkeit, dass sie Jüdin war.»
«Studieren Sie mal Ihre Bibel, Flesch», sagte ich. «Wir sind alle Juden, wenn wir nur weit genug zurückgehen. Aber in diesem konkreten Fall liegen Sie falsch. Sie war Katholikin. Eine ziemlich fromme sogar, wenn ich es richtig in Erinnerung habe.»
«Aber sie hieß doch Adler, oder nicht? Anna Adler?»
«Adler, ja, ich glaube, das stimmt. Und?»
«Adler ist ein jüdischer Name. Wenn sie noch leben würde, müsste sie heute wahrscheinlich den zweiten Vornamen Sarah führen, damit sie gleich als das kenntlich wäre, was sie war. Jüdin.»
«Selbst wenn es so wäre, Flesch. Dass Adler ein jüdischer Name ist. Und ich habe, offen gestanden, keine Ahnung, ob das stimmt. Auch dann wäre ich nur Achteljude. Und nach Paragraph zwo, Absatz fünf, der Nürnberger Gesetze bin ich somit kein Jude.» Ich grinste. «Ihre Peitsche peitscht nicht, Flesch.»
«Nachforschungen erweisen sich oft als kostspielige Belastung», sagte Flesch. «Selbst für rein arische Geschäftsunternehmen. Und Fehler kommen vor. Es könnte Monate dauern, bis alles wieder seinen normalen Gang geht.»
Ich nickte, weil mir aufging, dass das stimmte. Niemand wies ein Ansinnen der Gestapo ab. Nicht ohne schwerwiegende Folgen. Ich hatte nur die Wahl zwischen dem Ruinösen und dem Widerwärtigen. Eine sehr deutsche Alternative. Wir wussten beide, dass mir kaum etwas anderes übrigblieb, als mich auf ihr Spiel einzulassen. Aber das brachte mich, gelinde gesagt, in eine missliche Lage. Schließlich hatte ich ja bereits den starken Verdacht, dass Franz Six seine Taschen mit Paul Begelmanns Schekeln füllte. Aber ich hatte keine Lust, mich in einen Machtkampf zwischen SD und Gestapo verwickeln zu lassen. Andererseits war ja nicht gesagt, dass die beiden SD-Leute, die ich nach Palästina begleiten sollte, irgendetwas zu verbergen hatten. Außerdem würden sie natürlich den Verdacht haben, das ich ein Spitzel war, und sich mir gegenüber entsprechend vorsichtig verhalten. Es sprach vieles dafür, dass ich gar nichts entdecken würde. Aber würde sich die Gestapo mit gar nichts zufriedengeben? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
«In Ordnung», sagte ich. «Aber ich werde für euch nicht das Sprachrohr machen und Leute verleumden. Das kann ich nicht. Und ich werd’s gar nicht erst versuchen. Wenn sie krumme Sachen machen, werde ich es euch mitteilen und mir sagen, dass das nun mal die Aufgabe von Detektiven ist. Vielleicht wird es mich ein paar Stunden Schlaf kosten, vielleicht auch nicht. Aber wenn sie keine krummen Sachen machen, dann war’s das, klar? Ich schiebe niemandem getürkte Beweise unter, nur damit Sie und die übrigen Hartschädel in der Prinz-Albrecht-Straße einen Punkt für sich verbuchen können. Das werde ich nicht tun, nicht mal, wenn Ihre besten Reinemacher es mir nahelegen. Und Ihr Zuckerbrot können Sie auch behalten. Ich möchte nicht auf den Geschmack kommen. Ich werde Ihren schmutzigen kleinen Job machen, Flesch. Aber das Spiel läuft, wie es läuft. Keine gezinkten Karten. Klar?»
«Klar.» Flesch stand auf, knöpfte seinen Mantel zu und setzte seinen Hut auf. «Angenehme Reise, Gunther. Ich war noch nie in Palästina. Aber ich habe gehört, es soll dort sehr schön sein.»
«Vielleicht sollten Sie selbst mal hinfahren», sagte ich munter. «Ich wette, es würde Ihnen gefallen. Sie würden sich dort im Nu zurechtfinden. In Palästina hat jeder eine Judenabteilung.»
Ich verließ Berlin in der letzten Septemberwoche und fuhr mit dem Zug durch Polen in die rumänische Hafenstadt Constanza. Dort ging ich an Bord des Dampfers Romania , wo ich die beiden SD-Leute traf, die ebenfalls nach Palästina reisten. Beide waren SD-Scharführer, und beide gaben sich als Journalisten des Berliner Tageblatts aus, einer Zeitung, die bis zur Übernahme durch die Nazis 1933 in jüdischem Besitz gewesen war.
Der Oberscharführer hieß Herbert Hagen, der andere war
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