Das Janusprojekt
ihn.» Er zündete eine Zigarette an, beugte sich zu mir und steckte sie mir zwischen die Lippen.
«Haben Sie mir deshalb den Finger abgehackt?»
«Genau», sagte er. «Ein Glück für dich, dass ich dich mag, was?»
«Mit Freunden wie Ihnen, Golem, wer braucht da noch Feinde?»
«Wie hat er dich genannt?»
«Golem.»
«Das ist ein Seifenwort», sagte der Melonen-Mann. «Aber fragt mich nicht, was es heißt.»
«Seifenwort?» Ich flüsterte immer noch, aber sie konnten mich verstehen. «Wieso Seife?»
«Juden», sagte der Hüne. Und bohrte mir dann schmerzhaft den Zeigefinger in die Seite. «Ist es ein Seifenwort, wie er gesagt hat?»
«Ja», sagte ich. Ich wollte ihn nicht weiter provozieren. Nicht, solange ich noch neun Finger hatte. Ich hing an meinen Fingern, und meine Freundinnen hatten sie auch immer gemocht. In Zeiten, als ich noch Freundinnen gehabt hatte. Also verkniff ich mir, ihm zu erklären, dass der Golem ein großes, dummes, nur entfernt menschenähnliches Monster war, ebenso hässlich wie böse. Für diesen Grad an Offenheit war er noch nicht bereit. Und ich auch nicht. Also sagte ich stattdessen: «Heißt großer, starker Kerl. Ganz harter Bursche.»
«Das trifft’s wirklich», sagte der Fahrer. «Viel größere und stärkere Kerle gibt’s nicht. Und härtere schon gar nicht.»
«Ich glaube, mir wird schlecht», sagte ich.
Der Hüne schnappte mir die Zigarette aus dem Mund, kurbelte das Fenster runter und warf sie hinaus, schob mich dann näher an die kühle vorbeiziehende Nachtluft. «Du brauchst ein bisschen frische Luft, weiter nichts», sagte er. «Dann geht’s gleich wieder.»
«Geht’s?» Der Fahrer drehte sich ängstlich um. «Ich will nicht, dass er mir den Wagen vollkotzt.»
«Wird schon», sagte der Hüne. Er schraubte eine Taschenflasche auf und kippte mir noch etwas Cognac in den Mund.
«Ist jetzt eh egal», sagte der mit der Melone. «Wir sind da.»
Der Wagen hielt. «Wo ist da?», fragte ich.
Sie zogen mich aus dem Wagen und schleppten mich in einen hellerleuchteten Gebäudeeingang, wo sie mich an einen Stapel Ziegelsteine lehnten. «Das ist das Krankenhaus», sagte der Hüne. «Warte einfach hier. Dich wird bestimmt gleich einer finden und verarzten. Das wird schon wieder, Gunther.»
«Sehr aufmerksam», sagte ich und versuchte, mich so weit zu sammeln, dass ich mir ihr Kennzeichen merken konnte. Aber ich sah doppelt und dann einen Moment gar nichts mehr. Als ich die Augen wieder aufschlug, war der Wagen weg, und vor mir kniete ein Mann im weißen Kittel.
«Sie haben ganz schön auf die Pauke gehauen, was?», sagte er.
«Nicht ich», sagte ich. «Die. Und die Pauke war ich, Doktor. Die haben ein ganzes Konzert auf mir gespielt.»
«Sind Sie sicher?», fragte er. «Sie stinken nach Cognac.»
«Haben die mir gegeben», stöhnte ich. «Damit ich’s besser verschmerze, dass sie mir einen Finger abgehackt haben.» Statt einer eidesstattlichen Erklärung schwenkte ich meine blutige Faust vor seinem Gesicht.
«Mm-hmm.» Er klang immer noch nicht überzeugt. «Es gibt jede Menge Leute, die sich im Suff selbst verletzen und dann hierherkommen, weil sie glauben, wir seien nur dafür da, ihre Dummheiten wieder in Ordnung zu bringen.»
«Hören Sie, Doktor Schweitzer», flüsterte ich. «Ich bin zusammengeschlagen worden. Wenn Sie mich auf dem Fußboden verstreichen, können Sie die morgige Zeitung auf mir drucken. Also, helfen Sie mir jetzt oder nicht?»
«Vielleicht. Name und Adresse? Und nur damit ich mir nicht wie ein Idiot vorkomme, wenn ich die Flasche in Ihrer Tasche finde, wie heißt der neue Kanzler?»
Ich nannte ihm meinen Namen und meine Adresse. «Aber wer der neue Kanzler ist, weiß ich nicht», sagte ich. «Ich versuche immer noch, den alten zu vergessen.»
«Können Sie gehen?»
«Vielleicht bis zu einem Rollstuhl, wenn Sie mir zeigen, wo einer ist.»
Er holte von jenseits der Eingangstür einen Rollstuhl und half mir hinein.
«Nur für den Fall, dass die Oberschwester fragt», sagte er, während er mich hineinrollte. «Der neue deutsche Kanzler heißt Konrad Adenauer. Wenn sie Sie riecht, bevor wir Ihnen Ihre Sachen ausziehen können, fragt sie bestimmt. Sie kann Betrunkene nicht leiden.»
«Ich kann Kanzler nicht leiden.»
«Adenauer war Oberbürgermeister von Köln», sagte der Mann im weißen Kittel. «Bis ihn die Briten wegen Unfähigkeit geschasst haben.»
«Dann müsste er das Amt ja prima ausfüllen.»
Auf der Station trieb er eine
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