Das Janusprojekt
Sicherheit mich töten.
Jemanden umzubringen, weil er andere angestiftet hatte, mir weh zu tun, mag unverhältnismäßig wirken, und vielleicht war es das auch. Gut möglich, dass ich innerlich etwas aus dem Lot war, nach allem, was mir widerfahren war. Aber auch in Friedenszeiten hatte ich schon Männer getötet. Es hatte mir keinen Spaß gemacht. Aber wenn man einmal getötet hat, wird es leichter, wieder zu töten. Sogar einen Priester.
Als also klar war, wen, erhoben sich die Fragen nach dem Wann und Wo, die mich zu der Erkenntnis brachten, dass ich wohl gut daran tat, München für eine Weile zu verlassen, wenn ich es schaffte, Pater Gotovina zu töten. Vielleicht für immer. Nur für den Fall, dass jemand von seinen Hammer-und-Meißel-Freunden im Netzwerk zwei und zwei zusammenzählte und auf mich kam. Schließlich war es mein Arzt – Dr. Henkell –, der mir mit der Lösung des Problems half.
Henkell war so lang wie ein Laternenpfahl, mit feldgrauem Haar und einer Nase wie die Epaulette eines französischen Generals. Seine Augen waren milchig blau, mit Pupillen nicht größer als Bleistiftspitzen. Über seine Stirn zog sich eine tiefe Grübelfalte; ein Grübchen verlieh seinem Kinn Ähnlichkeit mit dem VW-Emblem auf dem Käfer. Sein imposantes, herrisches Gesicht hätte eigentlich zu einer Renaissance-Herzogstatue gehört, die vor einem Palazzo auf einem Pferd aus eingeschmolzenen Kanonen saß. Er trug eine Brille mit einem Metallgestell, die meistens auf seiner Stirn und nur selten auf seiner Nase saß, und um den Hals einen einzelnen Sicherheitsschlüssel für den Medizinschrank in meinem Zimmer und noch etliche andere. Drogendiebstahl war nichts Seltenes im städtischen Krankenhaus. Er war sonnengebräunt und schien prima in Form, was nicht weiter erstaunlich war, da er ein Chalet bei Garmisch-Partenkirchen besaß und fast jedes Wochenende dort war – im Sommer zum Bergwandern und Bergsteigen, im Winter zum Skifahren.
«Warum ziehen Sie sich nicht eine Weile dorthin zurück?», sagte er, als er mir von dem Chalet erzählte. «Das wäre genau das Richtige für einen Rekonvaleszenten wie Sie. Frische Gebirgsluft, gutes Essen, Ruhe und Frieden. Da wären Sie in null Komma nichts wieder der Alte.»
«Sie sind ganz schön fürsorglich», bemerkte ich. «Für einen Arzt, meine ich.»
«Vielleicht mag ich Sie ja.»
«Mich zu mögen, ist ziemlich leicht. Ich schlafe den ganzen Tag und die halbe Nacht. Sie haben mich wirklich von meiner besten Seite gesehen, Herr Doktor.»
Er glättete mein Kissen und sah mir in die Augen.
«Es könnte sein, dass ich mehr von Bernie Gunther gesehen habe, als er denkt», sagte er.
«Oh, Sie haben meine verborgenen Qualitäten entdeckt», sagte ich. «Wo ich mich doch so bemüht habe, sie geheim zu halten.»
«So gut verborgen sind sie auch wieder nicht», sagte er. «Vorausgesetzt, man weiß, wo man suchen muss.»
«Langsam beunruhigen Sie mich, Herr Doktor. Schließlich haben Sie mich nackt gesehen. Und ich bin nicht mal geschminkt. Und mein Haar muss auch eine Katastrophe sein.»
«Ein Glück für Sie, dass Sie flachliegen und so schwach sind», sagte er und drohte mir mit dem Finger. «Noch eine solche Bemerkung, und meine ärztlichen Umgangsformen könnten leicht zu schmerzlichen Umgangsformen werden. Sie müssen wissen, an der Universität galt ich als äußerst vielversprechender Boxer. Glauben Sie mir, Gunther, ich kann Ihnen genauso schnell eine Platzwunde verpassen, wie ich sie nähen kann.»
«Wäre das nicht gegen den hippokratischen Eid oder wie ihr Weißkittel das nennt, wenn ihr euch selbst zu ernst nehmt? Irgendwas Griechisches jedenfalls.»
«Vielleicht mache ich ja in Ihrem Fall mal eine Ausnahme und erdrossle Sie mit meinem Stethoskop.»
«Dann würde ich ja gar nicht mehr erfahren, warum Sie mich mögen», sagte ich. «Wissen Sie, wenn Sie mich wirklich mögen würden, würden Sie mir eine Zigarette beschaffen.»
«Mit Ihrer Lunge? Vergessen Sie’s. Hören Sie auf meinen ärztlichen Rat und rauchen Sie nie wieder. Die Lungenentzündung hat sehr wahrscheinlich Narben auf Ihrer Lunge hinterlassen.» Er hielt kurz inne und setzte dann hinzu: «Ebenso deutliche Narben wie die unter Ihrer Achsel.»
Draußen vor meinem Zimmer fing jemand an zu bohren. Im Krankenhaus waren Bauarbeiten im Gang, genau wie in der Frauenklinik, wo Kirsten gestorben war. Manchmal hatte man das Gefühl, dass es in München keinen Ort gab, wo nicht gebaut wurde. Ich
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