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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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hasste solche Männer, zumal jetzt, wo wir sie eigentlich hätten los sein sollen.
    «Ja, wir haben Sie überprüft», sagte er. «Anhand unserer Bataillonslisten. Wir haben nämlich Listen ehemaliger SS-Angehöriger, und Sie stehen drauf. Deshalb sage ich, dass Sie großes Glück haben.»
    «Hab ich’s doch gewusst», sagte ich. «Ich hatte so ein starkes Heimatgefühl, als Ihre Jungs mich aufgelesen haben.»
    Die ganzen Jahre hatte ich den Mund gehalten und nichts gesagt, genau wie alle anderen. Vielleicht lag es ja am Bierdunst und ihren Nazimanieren, aber plötzlich war die Erinnerung wieder da, wie eine Horde SA-Leute in ein Lokal kamen und einen Juden zusammenschlugen und ich hinausging und ihnen das Feld überließ. Das musste 1934 gewesen sein. Ich hätte damals etwas sagen müssen. Und jetzt, wo ich wusste, dass sie mich nicht umbringen würden, wollte ich das plötzlich wiedergutmachen. Ich wollte diesem kleinen Nazischinder sagen, was ich wirklich von ihm und seinesgleichen hielt.
    «Ich würde damit keinen Scherz treiben, Herr Gunther», sagte er sanft. «Der einzige Grund, warum Sie noch leben, ist die Tatsache, dass Sie auf dieser Liste stehen.»
    «Es freut mich sehr, das zu hören, Herr General.»
    Er zuckte zusammen. «Sie kennen mich?»
    «Nein, aber ich kenne Ihre Art», sagte ich. «Diese stillschweigende Erwartung, dass man Ihnen gehorcht. Dieses absolute Gefühl rassischer Auserwähltheit. Was vermutlich nicht allzu verwunderlich ist, wenn man die Leute sieht, die für Sie arbeiten. Aber so war es ja immer beim SS-Generalstab, oder nicht?» Ich sah angewidert zu den Männern hinüber, die mich hergebracht hatten. «Man findet immer ein paar debile Sadisten, die die Drecksarbeit für einen machen, am besten noch Nichtdeutsche. Einen Letten, einen Ukrainer, einen Rumänen, sogar einen Franzosen.»
    «Wir sind hier alle Deutsche, Herr Gunther», sagte der kleine General. «Allesamt alte Kameraden. Selbst Sie. Was Ihr Verhalten in letzter Zeit umso unverzeihlicher macht.»
    «Was habe ich denn getan? Vergessen, meinen Schlagring zu polieren?»
    «Sie sollten wissen, dass Sie nicht herumlaufen und Fragen über das Netzwerk und die Kameradschaft stellen können. Nicht jeder von uns hat so wenig zu verbergen wie Sie, Herr Gunther. Es gibt Kameraden, denen das Todesurteil drohen könnte.»
    «In dieser Runde fällt es mir nicht schwer, das zu glauben.»
    «Ihre Impertinenz gereicht Ihnen und unserer Organisation nicht zur Ehre», sagte er fast schon traurig. «‹Meine Ehre heißt Treue.› Bedeutet Ihnen das denn gar nichts?»
    «Was mich angeht, Herr General, waren das nur ein paar Wörter auf einem Koppelschloss. Auch so eine Nazilüge wie ‹Kraft durch Freude›.» Dass ich dem kleinen General so deutlich die Meinung sagte, hatte natürlich auch den Grund, dass ich selbst nie schlau genug gewesen war, um es zum General zu bringen. Sie wollten mich zwar offenbar nicht töten, aber vielleicht hätte ich bedenken sollen, dass sie mir trotzdem etwas antun konnten. Vielleicht. Ein Teil von mir wusste die ganze Zeit, dass sie mir etwas antun würden. Es stand von Anfang an in den Karten. Und unter diesen Umständen dachte ich wohl, dass ich nichts zu verlieren hatte, wenn ich sagte, was ich dachte. «Oder die beste Lüge von allen. Meine Lieblingslüge. Die, die sich die SS ausgedacht hat, damit sich die Leute dort, wo sie landeten, wohler fühlten. ‹Arbeit macht frei.›»
    «Ich sehe, wir müssen Sie erziehen, Herr Gunther», sagte er. «Zu Ihrem eigenen Besten natürlich. Um Ihnen weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen.»
    «Sie können es verpacken, wie Sie wollen, Herr General. Aber Sie und Ihresgleichen haben immer schon lieber Leute zusammengeschlagen, als …»
    Ich brachte meinen Satz nicht zu Ende. Der General nickte einem seiner Männer zu, und es war, als ließe er einen Hund von der Leine. Ohne das leiseste Zögern trat der Mann mit dem Totschläger einen Schritt vor und verpasste mir je einen Hieb auf Arme und Schultern. Ich spürte, wie ein Krampf meinen ganzen Körper erfasste, während ich, noch immer in Handschellen, den Kopf zwischen die Schulterblätter zu beugen versuchte.
    Zufrieden lachte er leise, als mich der Schmerz in die Knie zwang, dann ging er um mich herum und landete einen Nackenschlag, der in meinem Mund den Geschmack von Gibson und Blut hinterließ. Das waren alles Expertenschläge, so viel stand fest, sie waren einzig dazu gedacht, mir das größtmögliche Maß an

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