Das Janusprojekt
Vielleicht waren es ja einfach nur Engel. Oder winzige Fasern meiner Seele, die die ewige Herrlichkeit nicht erwarten konnten und sich schon mal furchtlos auf den Weg zu den Sternen gemacht hatten, um dort zu sein, bevor der Rest von mir folgte. Dann bewegte sich der Lichtstrahl kaum wahrnehmbar, wie der Zeiger einer riesigen Uhr, bis er aufs Fußende meines Betts fiel und selbst durch die Decken meine Zehen wärmte, als wollte er mich daran erinnern, dass meine Aufgaben auf Erden noch nicht erfüllt waren.
Die Zimmerdecke war rosa. Eine große Glasschale hing an einer Messingkette von der Decke. Auf dem Grund der Schale lagen vier tote Fliegen, wie in irgendeinem schrecklichen Insektenkrieg abgeschossen. Als ich genug an die Decke gestarrt hatte, starrte ich an die Wände. Die hatten die gleiche Farbe. An einer Wand war ein Medizinschränkchen, voll mit Flaschen und Verbandszeug. Daneben, wo die Schwestern manchmal saßen, stand ein Tisch mit einer Lampe. An der gegenüberliegenden Wand war ein Bild von Schloss Neuschwanstein, dem berühmtesten der drei Schlösser, die Ludwig II. von Bayern hatte erbauen lassen. Seit ich hier im Krankenhaus war, verstand ich ihn besser als die meisten. Nicht zuletzt, weil auch ich mindestens eine Woche im Wahn verbracht hatte. Mehrmals hatte ich mich gefühlt, wie im höchsten Turm dieses Schlosses eingesperrt – mit Wetterfahne und Vogelschauperspektive aufs Märchenland. Ich hatte sogar Besuch von den sieben Zwergen gehabt und von einem Elefanten mit riesigen Ohren. Einem rosa Elefanten natürlich.
Was alles nicht weiter verwunderlich war – sagten jedenfalls die Schwestern. Ich hatte eine Lungenentzündung. Denn meine Abwehrkräfte waren durch die Schläge, die ich bekommen hatte, und weil ich so ein starker Raucher war, stark reduziert gewesen. Angefangen hatte es wie eine böse Grippe, und eine Zeitlang hatten sie es auch dafür gehalten. Daran erinnerte ich mich noch. Dann war es schlimmer geworden. Acht, neun Tage hatte ich vierzig Fieber gehabt, in dieser Zeit musste es gewesen sein, dass ich mich nach Neuschwanstein abgesetzt hatte. Inzwischen war meine Temperatur wieder normal. Ich benutze das Wort «normal», aber angesichts der dann folgenden Ereignisse muss ich wohl alles andere als normal gewesen sein. Jedenfalls ist das meine Entschuldigung.
Eine Woche schleppte sich dahin: nichts los und nichts zum Angucken. Nicht mal die Schwestern boten Zerstreuung. Es waren solide deutsche Hausfrauen mit Ehemännern, Kindern und Doppelkinn, dazu kräftige Unterarme und eine Haut wie Orangenschale und obendrein ein Kopfkissenbusen. In ihren steifen weißen Schürzen und Häubchen sahen sie aus wie gepanzert und verhielten sich auch so. Nicht, dass es etwas geändert hätte, wenn sie hübscher gewesen wären. Ich war so schwach wie ein Neugeborenes. Und es bremst die Libido eines Mannes schon, wenn das Objekt seiner Aufmerksamkeit die Person ist, die ihm die Bettpfanne bringt und sie wieder mitnimmt und vermutlich auch ausleert. Außerdem waren meine gesamten mentalen Energien für Gedanken reserviert, die nichts mit Liebe zu tun hatten. Sie drehten sich einzig und allein um Rache. Die Frage war nur, Rache an wem?
Außer dass die Männer, die mich zu Brei geschlagen hatten, zweifelsohne von Pater Gotovina geschickt worden waren, wusste ich nichts über sie. Sie waren wie ich ehemalige SS-Leute und möglicherweise Polizisten. Der Priester war mein einziger Anhaltspunkt, und nach und nach kam ich zu dem Entschluss, mich an Pater Gotovina selbst zu rächen.
Dabei unterschätzte ich die Schwierigkeit dieses Unterfangens keineswegs. Er war ein bulliger, kräftiger Mann, und ich wusste, dass ich ihm in meinem geschwächten Zustand nicht gewachsen war.
Eine Fünfjährige mit einer Rolle Drops in der Faust und einem passablen rechten Haken hätte mir den Fußboden des Kindergartens näher bringen können. Doch selbst wenn ich stark genug gewesen wäre, um es mit ihm aufzunehmen, hätte er mich mit Sicherheit erkannt und mir seine SS-Freunde erneut auf den Pelz geschickt. Er schien mir kein Priester zu sein, der in solchen Dingen zimperlich ist. Was auch immer ich plante, erforderte also in jedem Fall eine Schusswaffe, und sobald ich das begriffen hatte, war mir auch klar, dass ich nicht umhinkommen würde, ihn zu töten. Es gab keine Alternative. Wenn ich erst mal eine Pistole auf ihn richtete, war da kein Raum mehr für Halbherzigkeiten. Ich würde ihn töten, oder er würde mit
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