Das Janusprojekt
was ich bisher gehört habe, sollten Sie auch mal Ihren Kopf untersuchen lassen.»
«Das sollten wir alle, Stuber, mein Junge. Wir alle miteinander. Noch nie was von Kollektivschuld gehört? Sie sind genauso schlimm wie Joseph Goebbels, und ich bin genauso schlimm wie Reinhard Heydrich.»
«Reinhard wer?»
Ich lächelte. Klar, Heydrich war jetzt schon über sieben Jahre tot. Aber es war doch ein bisschen bestürzend, dass Stuber noch nie von ihm gehört hatte. Vielleicht war er ja jünger, als ich gedacht hatte.
Oder ich war um einiges älter, als ich mich fühlte. Was kaum möglich schien.
20
Mit dem Ochsenblut in den Adern fühlte ich mich, als beginge ich gerade meinen einundzwanzigsten Geburtstag. Es war leicht zu verstehen, warum sie den Luftwaffenfliegern das Zeug gegeben hatten. Mit einer ausreichenden Dosis dieses Aufputschsafts im Blut würde man nichts dabei finden, mit einer Messerschmitt auf dem Reichstagsdach zu landen. Aber natürlich fühlte ich mich besser, als ich aussah. Und mir war klar, dass ich nicht annähernd so energiegeladen war, wie es mir die Droge vorgaukelte. Ich ging wie jemand, der wieder laufen lernen muss. Meine Arme und Beine fühlten sich an, als hätte ich sie von einer von Meister Gepettos missglückten Marionetten geborgt. Mit meinem bleichen Gesicht, dem dreckigen, schlabbernden, schwarzen Arbeitsdrillich, meinem fettigen Haar und den unerklärlich schweren Schuhen brauchte ich nur noch einen Bolzen durch den Hals, um Chancen auf die Hauptrolle in einem Frankensteinfilm zu haben. Wenn ich sprach, war es noch schlimmer. Gegen mich klang das Monster wie Marlene Dietrich.
Ich ging bis zum Aufzug und setzte mich dann in einen Rollstuhl. Das Krankenhaus war voller Besucher, und niemand beachtete mich oder Stuber, schon gar nicht die Ärzte und Schwestern, die die Besuchszeit gewöhnlich nutzten, um Pause zu machen oder Papierkram zu erledigen. Sie waren allesamt überlastet und unterbezahlt.
Stuber schob mich schnell zu seinem Taxi. Ich hievte mich auf den Beifahrersitz und überließ es aus Gründen der Kräfteersparnis ihm, die Tür zuzumachen. Er rannte um den Wagen herum, sprang auf der Fahrerseite hinein und ließ den Rasenmähermotor aufdrehen, noch ehe ich ihm gesagt hatte, wo es hinging. Er zündete zwei Zigaretten an, steckte mir eine zwischen die Lippen, ließ die Kupplung kommen und preschte dann in den Kreisverkehr auf der Maximilianstraße. «Also, wohin?», fragte er und hielt das Lenkrad so eingeschlagen, dass wir immer weiter im Kreis fuhren.
«Über die Brücke», sagte ich. «Die Maximilianstraße weiter und dann über die Hildegardstraße auf die Hochbrückenstraße.»
«Sagen Sie mir einfach, wo Sie hinwollen», knurrte er. «Ich bin Taxifahrer, vergessen? Der kleine Schein da vom Amt für öffentliche Ordnung bedeutet, dass ich diese Stadt so gut kenne wie die Muschi Ihrer Frau.»
Mein Ochsenblut ließ das durchgehen. Außerdem war er mir so lieber. Eine reumütige Entschuldigung hätte ihn vielleicht Tempo gekostet. Tempo und Effizienz waren jetzt gefragt, ehe die Wirkung des Mittels und meine finstere Entschlossenheit nachließen. «Heilig-Geist-Kirche, im Tal», sagte ich.
«Eine Kirche?», rief er aus. «Was wollen Sie denn in einer Kirche?» Er dachte kurz darüber nach, während wir über die Brücke rasten. «Haben Sie jetzt doch Skrupel? Ist es das? Wenn ja, ist nämlich St. Anna näher.»
«So viel zu Ihren Gynäkologiekenntnissen», sagte ich. «St. Anna ist noch geschlossen.» Als wir über das Forum fuhren, sah ich die Straßenecke, wo mich die Kameraden das erste Mal ihren Totschläger hatten spüren lassen, bevor sie mich in den Wagen verfrachtet hatten. «Und ich habe keine Skrupel. Außerdem, haben Sie mich nicht dazu verdonnert, den Mund zu halten? Was kümmert Sie’s, was ich in einer Kirche will? Sie wollen es doch gar nicht wissen. Das haben Sie selbst gesagt.»
Er zuckte die Achseln. «Ich dachte nur, Sie hätten jetzt doch Bedenken wegen der ganzen Sache. Weiter nichts.»
«Wenn ich Bedenken kriegen sollte, sind Sie der Erste, der’s erfährt», sagte ich. «Also, wo ist die Knarre?»
«Da unten.» Er deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung meiner Füße. Da lag eine lederne Werkzeugtasche auf der Fußmatte. Vor lauter Aufregung hatte ich sie gar nicht bemerkt. «In der Tasche. Da sind auch noch ein paar Schlüssel und Schraubenzieher drin, damit sie sich in ehrbarer Gesellschaft befindet. Nur für den Fall, dass
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