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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Mehrere von meinen Männern waren dafür, sie mitzunehmen, damit sie in Minsk gehängt werden konnten. Aber ich war nicht scharf auf diesen Zusatzballast. Also erschossen wir sie in vier Gruppen und fuhren zurück nach Minsk.
    Ich war direkt von Berlin aus zum 316. Bataillon gestoßen, in einem polnischen Ort namens Zamosc. Davor waren das 316. und das 322., mit dem wir gemeinsam operierten, in Krakau stationiert gewesen. Soweit ich wusste, hatte keins der beiden Polizeibataillone vorher jemals Massenerschießungen durchgeführt. Viele meiner Kollegen waren Antisemiten, aber ebenso viele waren keine, und ich hatte darin nie ein Problem gesehen, bis wir nach Minsk kamen, wo ich Bericht erstattete. Dabei übergab ich auch die zwei Dutzend Ausweise, die wir vor der Exekution ihrer Besitzer konfisziert hatten.
    Mein Vorgesetzter, SS-Obersturmbannführer Mundt, gratulierte mir zu der erfolgreichen Aktion und erteilte mir gleichzeitig einen Rüffel, weil ich die beiden Frauen nicht mit zurückgebracht hatte. Anscheinend gab es einen neuen Befehl aus Berlin: Sämtliche Partisaninnen und weiblichen NKWD-Angehörigen waren öffentlich zu hängen, als abschreckendes Beispiel für die Minsker Bevölkerung.
    Mundt sprach besser Russisch als ich damals und konnte auch Kyrillisch lesen. Ehe er zur Einsatzgruppe B in Minsk gekommen war, war er im Judenreferat des RSHA gewesen. Ihm fiel schließlich an den NKWD-Leuten, die wir exekutiert hatten, etwas auf. Doch selbst als er ihre Namen laut vorlas, fiel bei mir immer noch nicht der Groschen.
    «Kagan», sagte er. «Geller, Zalmonowitz, Polonski. Kapieren Sie denn nicht, Obersturmführer Gunther? Das sind alles Juden. Es war eine jüdische NKWD-Todesschwadron, die Sie da exekutiert haben. Das zeigt es doch wohl, oder? Dass der Führer recht hat, wenn er sagt, dass Bolschewismus und Judentum ein und dasselbe Gift sind.»
    Auch da noch schien es nicht so wichtig. Auch da noch sagte ich mir, dass ich ja nicht gewusst hatte, dass es Juden waren, als wir sie erschossen. Ich sagte mir, dass es wahrscheinlich auch nichts geändert hätte – dass sie tausende Menschen kaltblütig ermordet und dafür den Tod verdient hatten. Aber das war am Vormittag des 7. Juli. Am Nachmittag sah ich die Polizeiaktion, die ich befehligt hatte, bereits in einem etwas anderen Licht. Am Nachmittag hatte ich bereits von der «Registrierung» erfahren, in deren Folge zweitausend Juden identifiziert und erschossen worden waren. Dann, am nächsten Tag, traf ich zufällig auf ein SS-Erschießungskommando unter dem Befehl eines jungen Polizeioffiziers, den ich aus Berlin kannte. Sechs Männer und Frauen wurden erschossen und fielen in ein Massengrab, in dem schon etwa hundert Leichen lagen. Das war der Moment, in dem mir der wahre Zweck der Polizeibataillone aufging. Das war der Moment, der mein Leben für immer veränderte.
    Es war mein Glück, dass der Brigadeführer, der die Einsatzgruppe B befehligte, Arthur Nebe war, ein alter Bekannter von mir. Vor dem Krieg war er Chef der Berliner Kriminalpolizei gewesen, ein Karrierepolizist wie ich. Also ging ich zu ihm und bat ihn um meine Versetzung zur Wehrmacht für den Fronteinsatz. Er wollte die Gründe wissen. Ich erklärte ihm, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis ich sonst wegen Befehlsverweigerung erschossen würde. Ich erklärte ihm, dass es vielleicht noch zu vertreten sei, jemanden zu erschießen, weil er bei einer NKWD-Todesschwadron war, aber ihn zu erschießen, weil er Jude war, über meine Moral ging. Nebe fand das komisch.
    «Aber Obersturmbannführer Mundt hat erzählt, die Leute, die Sie erschossen haben, waren Juden», sagte er.
    «Ja, aber deshalb habe ich sie nicht erschossen, Herr Brigadeführer», erwiderte ich.
    «Beim NKWD sind jede Menge Juden», sagte er. «Das wissen Sie doch, oder? Wenn Sie noch mehr von diesen Todesschwadronen erwischen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es Juden sind. Was dann?»
    Ich schwieg. Ich wusste nicht, was dann. «Ich weiß nur, dass ich diesen Krieg nicht damit zubringen will, Leute zu ermorden.»
    «Krieg ist Krieg», sagte er unwirsch. «Und, offen gestanden, wir haben uns vielleicht in Russland ein bisschen übernommen. Wir müssen auf diesem Kriegsschauplatz möglichst schnell siegen, wenn wir uns sicher auf den Winter vorbereiten wollen. Da ist für Empfindlichkeiten kein Platz. Wir werden, ehrlich gesagt, genug damit zu tun haben, uns um unsere eigene Armee zu kümmern, von den gefangenen

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