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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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jemand neugierig ist.»
    Ich beugte mich langsam vor und hob die Tasche auf meinen Schoß. Auf der Tasche waren ein Wappen und die Aufschrift «Postomnibuswartungsdienst, Luisenstraße».
    «Hat ein Fahrgast im Wagen vergessen», sagte er. «Muss wohl ein Busmechaniker gewesen sein.»
    «Seit wann nehmen Busmechaniker Exporttaxis?», fragte ich.
    «Seit sie amerikanische Krankenschwestern bumsen», sagte er. «War aber auch wirklich ein steiler Zahn. Wundert mich nicht, dass er sein Werkzeug vergessen hat. Ich hab sie im Rückspiegel beobachtet. Reinste Zungenakrobatik.»
    «Sehr romantisch», sagte ich und öffnete die Tasche. Zwischen dem Werkzeug lag eine U. S. Government-Issue Colt Automatic. Eine hübsche .45er von vor dem Ersten Weltkrieg. Der Schalldämpfer, der auf dem Lauf steckte, war zwar Marke Eigenbau, aber das war nichts Besonderes. Und die Colt Automatic war die ideale Pistole für einen Schalldämpfer. Das einzige Problem war die Länge. Mit dem Schalldämpfer war das ganze Ding etwa fünfundvierzig Zentimeter lang. Nur gut, dass Stuber dran gedacht hatte, gleich eine Werkzeugtasche mitzuliefern. Eine solche Waffe mochte ja leise sein, aber optisch war sie etwa so unauffällig wie Excalibur.
    «Die ist so kalt wie eine Hundeschnauze», sagte er. «Hab sie von einem Negersergeant, der Wachdienst im amerikanischen Offiziersclub im Haus der Kunst schiebt. Er schwört beim Leben seiner schwarzen Mama, dass die Pistole und die Flüstertüte zuletzt von einem Army Ranger benutzt wurden, um still und leise einen SS-General umzulegen.»
    «Dann klebt ja Glück dran», sagte ich.
    Stuber sah mich von der Seite an. «Sie sind ein komischer Vogel, Gunther», sagte er.
    «Finde ich nicht.»
    Wir fuhren die Hochbrückenstraße entlang und konnten das Hofbräuhaus sehe. Für diese Tageszeit war dort ungewöhnlich viel los. Ein Mann in Lederhosen wankte den Bürgersteig entlang und entging um Haaresbreite dem Zusammenstoß mit dem Wagen eines Brez’n-Verkäufers. Es roch nach Bier – stärker, als mir normal erschien, selbst für München. Eine Horde amerikanischer Soldaten schlenderte breitbeinig die Bräustraße entlang und färbte mit ihrem süßlichen Virginia-Tabak die Luft blau. Die Jungs wirkten zu massig für ihre Uniformen, und ihr alkoholisiertes Lachen hallte durch die Straße wie Kleinwaffenfeuer. Einer vollführte ein Stepptänzchen, als irgendwo eine Blaskapelle den Alte-Kameraden-Marsch zu spielen begann. Das schien genau die richtige Begleitmusik für mein Vorhaben. «Warum ist denn hier so viel Betrieb?», knurrte ich.
    «Das Oktoberfest hat heute angefangen», sagte Stuber. «Hier stehen jede Menge Amis rum und warten auf Taxis, und ich muss sie durch die Gegend kutschieren.»
    «Für dieses Privileg sind Sie ziemlich gut bezahlt worden.»
    «Ich beschwere mich ja gar nicht», sagte er. «War nur eine reine Feststellung.»
    «Wenn ich wissen will, was Sie denken, Jungchen, reiße ich Ihnen das Ohr ab. Auch eine reine Feststellung.» Wir waren jetzt bei der Kirche. «Biegen Sie links ab, Richtung Viktualienmarkt, und halten Sie am Seiteneingang. Dann helfen Sie mir, aus diesem Gefährt herauszukommen. Ich fühle mich wie eine Erbse beim Hütchenspiel.»
    «Das ist ja der Trick bei der Sache, Gunther», sagte er. «Die Erbse rauszuholen, ohne dass es einer sieht.»
    «Mund halten und Tür aufmachen, Käferjockey.»
    Stuber hielt, sprang heraus, rannte um Wagen und riss meine Tür auf. Ich war schon vom Zuschauen ganz erschöpft.
    «Danke.»
    Ich schnupperte wie ein hungriger Hund. Unten auf dem Markt wurden Mandeln kandiert und Brezn aufgebacken. Eine weitere Blaskapelle stimmte die «Klarinettenpolka» an. Selbst einbeinig wäre mir nicht weniger nach Tanzen gewesen. Schon beim Zuhören wollte ich mich am liebsten hinsetzen und eine Verschnaufpause einlegen. Drüben auf der Wiesn waren jetzt die Lustbarkeiten in vollem Gange. Vollbusige Damen im Dirndl demonstrierten die Charles-Atlas-Methode, indem sie in jeder Hand vier Maßkrüge trugen. Die Wiesnwirte hielten ihren Einzug mit der üblichen Mischung aus Pomp und Plumpheit. Kleine Kinder vertilgten Lebkuchenherzen. Dicke Bäuche füllten sich mit Bier, während die einen versuchten, den ganzen Krieg zu vergessen, und andere, ihn sentimental heraufzubeschwören.
    Ich erinnerte mich nur zu gut an den Krieg. Deshalb war ich hier. Vor allem erinnerte ich mich an jenen schrecklichen Sommer ’41. Ich erinnerte mich an das Unternehmen Barbarossa,

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