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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Berg hinunter, zum Glück, denn hinter einer Kurve überquerte gerade eine Kuhherde die Straße, die parallel zur Bahnlinie verlief. Ein Stückchen weiter erklärte mir Henkell, wie wichtig die Eisenbahn für Garmisch-Partenkirchen war.
    «Die Bahnlinie bildet die deutlichste Grenze zwischen den beiden Teilstädten», sagte er. «Garmisch, östlich der Eisenbahn, ist ein bisschen moderner. Nicht zuletzt, weil dort das Olympiastadion liegt. Partenkirchen, westlich der Bahn, kommt einem viel älter vor. Dort sind die meisten Amis stationiert.»
    Als wir auf die Bahnhofsstraße kamen und dann weiter die Zugspitzstraße entlangfuhren, machte er mich auf die Häuserfassaden aufmerksam. Sie waren mit «Luftmalerei» geschmückt, was zum Teil an die Fassaden einiger Münchner Rokokokirchen erinnerte. Garmisch-Partenkirchen hätte nicht katholischer wirken können, selbst wenn der Papst hier ein Wintersportchalet gehabt hätte. Aber es wirkte auch wohlhabend, und der Grund dafür war leicht auszumachen. Es wimmelte von Amerikanern, als ob der Krieg gerade erst geendet hätte. Die meisten Fahrzeuge auf den Straßen waren Jeeps oder amerikanische Militärlastwagen, und an jedem zweiten Haus wehte das Sternenbanner. Man konnte kaum glauben, dass man in Deutschland war.
    «Mein Gott, schauen Sie sich das an», rief ich aus. «Als Nächstes malen sie Micky-Maus-Fresken auf die Gebäude, die sie requiriert haben.»
    «Ach, so schlimm ist es auch wieder nicht», sagte Henkell. «Und sie meinen es ja gut.»
    «Das hat die heilige Inquisition auch getan», sagte ich. «Halten Sie mal da bei dem Tabakladen. Ich muss mir Luckies kaufen.»
    «Habe ich Sie nicht gewarnt, was das Rauchen angeht?», fragte er, hielt aber trotzdem.
    «Bei der vielen frischen Luft?», sagte ich. «Was kann das schon schaden?»
    Ich stieg aus und ging in den Tabakladen. Ich kaufte Zigaretten und spazierte dann ein bisschen im Laden herum, nur um das Gefühl zu genießen, wieder ein normaler Mensch zu sein. Der Ladenbesitzer beäugte mich misstrauisch.
    «Darf es noch etwas sein?», fragte er und zeigte mit dem Stiel seiner Meerschaumpfeife auf mich.
    «Nein, ich habe nur geguckt», sagte ich.
    Er steckte sich die Pfeife wieder in das selbstgefällige Gesicht und wippte auf Schuhen, die mit Edelweiß, Eichblättern und Bändern in bayrischem Blau-Weiß dekoriert waren. Noch ein Blauer Max oder ein Eisernes Kreuz, und es wären die deutschesten Schuhe gewesen, die ich je gesehen hatte. Er sagte: «Das ist hier ein Geschäft, kein Museum.»
    «Merkt man aber gar nicht», sagte ich und ging unter dem Läuten der Ladenglocke hinaus.
    «Im Winter ist es hier bestimmt unheimlich gemütlich», sagte ich zu Henkell, als ich wieder im Wagen saß. «Die Einheimischen sind so liebenswürdig wie eine kalte Mistgabel.»
    «Wenn man sie erst mal kennt, sind sie eigentlich ganz freundlich», sagte er.
    «Komisch. Das sagen die Leute auch immer, wenn einen ihr Hund gebissen hat.»
    Wir fuhren weiter in den Südwestteil von Partenkirchen und zum Fuß der Zugspitze, vorbei am Post-Hotel, am amerikanischen Offiziersklub, am General Patton Hotel, am Hauptquartier des Southeastern Area Command und an der Green Arrow Ski Lodge. Ich hätte ebenso gut in Denver, Colorado, sein können. Ich war noch nie in Denver, Colorado, gewesen, aber ich stellte es mir ungefähr so vor wie Partenkirchen. Patriotisch, künstlich, mit Zierrat überladen, auf eine freundliche Art unfreundlich und insgesamt ziemlich absurd.
    Henkell fuhr durch eine Straße mit typisch oberbayrischen Häusern und hielt in der Einfahrt einer zweistöckigen, weißverputzten Villa. Sie zierten ein umlaufender Holzbalkon und ein überhängendes Dach von der Größe eines Flugzeugträgerdecks. An der Fassade war ein Wandgemälde, das einen deutschen Olympia-Skiläufer zeigte. Dass es ein Deutscher war, erkannte ich daran, dass er den rechten Arm merkwürdig auszustrecken schien, aber wonach, sah man nicht, weil jemand Hand und Unterarm überstrichen hatte. Wahrscheinlich merkte nur ein Deutscher, was die rechte Hand des Skiläufers da wirklich machte. Alles in Garmisch-Partenkirchen schien so durch und durch Uncle Sam und dessen Wohl gewidmet – man konnte sich kaum vorstellen, dass Onkel Adolf je hier gewesen sein sollte.
    Ich stieg aus dem Mercedes und sah zur Zugspitze hinauf, die über den Häusern dräute wie eine versteinerte graue Meereswelle.
    Als plötzlich Schüsse krachten, zuckte ich zusammen und duckte mich

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