Das Janusprojekt
Jacobs. «Er will nur einen Impfstoff für amerikanische Soldaten, bevor sie den nächsten Erdteil besetzen. Südostasien vielleicht. Mittelamerika sicherlich.»
«Warum schreiben Sie nicht einen Zeitungsartikel?», meuterte Jacobs. «Erzählen der ganzen verdammten Welt, was wir hier machen.»
«Aber Erich und ich, wir wollen Menschenleben retten», sagte Henkell, ohne Jacobs zu beachten. «Das hier ist ebenso seine Arbeit wie meine.» Er zog das Jackett aus und öffnete seinen Hemdkragen. «Überlegen Sie doch mal, Bernie. Die Vorstellung, Deutsche könnten etwas tun, das jährlich eine Million Menschenleben rettet. Das würde einiges von dem ausgleichen, was hier während des Krieges schiefgelaufen ist. Meinen Sie nicht?»
«Wohl schon», gab ich zu.
«Eine Million gerettete Menschenleben pro Jahr», sagte Henkell. «Also, da hätten uns nach sechs Jahren vielleicht sogar die Juden verziehen. Und nach zwanzig womöglich sogar die Russen.»
«Er will den Impfstoff den Russen geben», murmelte Jacobs. «Hervorragend.»
«Das ist es, was uns antreibt, Bernie.»
«Mal ganz abgesehen von dem vielen Geld, das Sie machen werden, wenn es Ihnen wirklich gelingt, einen Impfstoff zu synthetisieren», sagte Jacobs. «Millionen Dollar.»
Henkell schüttelte den Kopf. «Er hat nicht die leiseste Ahnung, was uns wirklich treibt», sagte er. «Er ist ein kleiner Zyniker. Stimmt’s, Jonathan?»
«Wenn Sie es sagen, Kraut.»
Ich sah mich in dem Treibhauslabor um. An zwei Wänden des Raumes standen Labortische. Auf der einen Seite waren diverse Laborgerätschaften aufgereiht, darunter mehrere Mikroskope. Auf der anderen befand sich etwa ein Dutzend beheizter Glaskästen. Unter einem Fenster, das auf einen anderen Teil des gepflegten Gartens hinausging, hingen drei Spülbecken. Doch was meine Aufmerksamkeit fesselte, waren die Glaskästen. In zweien wimmelte es von lebenden Insekten. Selbst durch das Glas hörte man das Sirren der vielen Mücken, wie lauter winzige Opernsänger, die sich mühten, einen hohen Ton zu halten. Schon vom bloßen Hingucken kribbelte es mich überall.
«Das sind unsere VIPs», sagte Henkell. « Culex pipen . Diese Moskitoart brütet in stehenden Gewässern und ist damit die gefährlichste, denn diese Mücken übertragen die Krankheit. Wir versuchen, sie hier im Labor zu züchten. Aber von Zeit zu Zeit müssen wir uns neue Exemplare aus Florida schicken lassen. Die Eier und die Larven sind erstaunlich resistent gegen die niedrigen Temperaturen auf Langstreckenflügen. Faszinierend, was? Dass etwas so Kleines absolut tödlich sein kann. Und das ist Malaria nun mal. Für die meisten Leute jedenfalls. Studien haben gezeigt, dass sie bei Kindern fast immer tödlich verläuft. Aber Frauen sind widerstandsfähiger als Männer. Niemand weiß, warum.»
Schaudernd trat ich von den Glaskästen zurück.
«Er mag Ihre kleinen Freunde nicht, Heinrich», sagte Jacobs. «Und ich kann’s ihm nicht verdenken. Ich hasse die kleinen Biester. Ich habe Albträume, dass eins von ihnen entschlüpft und mich sticht.»
«Das tun sie bestimmt nicht, die haben doch sicher Geschmack», sagte ich.
«Deshalb brauchen wir ja mehr Geld. Für bessere Isolierkammern und Handhabungsvorrichtungen. Ein Elektronenmikroskop. Objektträger. Neue Einfärbesysteme für Schnitte.» Das war alles an Major Jacobs gerichtet. «Um genau solche Unfälle zu verhindern.»
«Wir arbeiten dran», sagte Jacobs und gähnte ostentativ, als ob er diesen Vortrag schon oft gehört hätte. Er zog ein Zigarettenetui aus der Tasche, schien sich dann aber unter Henkells tadelndem Blick eines Besseren zu besinnen. «Rauchverbot im Labor», murmelte er und steckte das Zigarettenetui wieder weg. «Schon gut.»
«Sie haben dran gedacht», sagte Henkell lächelnd. «Wir machen Fortschritte.»
«Das hoffe ich», sagte Jacobs. «Ich wollte nur, Sie würden daran denken, das Ganze unter dem Deckel zu halten.» Dabei sah er mich an. «Wie vereinbart. Hierbei handelt es sich nämlich um ein geheimes Projekt.» Und er und Henkell fingen wieder an zu debattieren.
Ich wandte mich ab und beugte mich über eine alte Nummer von Life , die auf dem Labortisch lag, neben einem Mikroskop. Ich blätterte ein bisschen darin herum, um mein Englisch zu testen. Amerikaner sahen so gesund aus. Wie eine neue Herrenrasse. Ich begann, einen Artikel mit der Überschrift «Das geschundene Antlitz Deutschlands» zu lesen. Da waren eine Reihe Luftbilder von deutschen Städten,
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