Das Jesuskomplott. Thriller (German Edition)
dass Du für einige Zeit in London bist. Ich hoffe, das war nicht falsch. Sie fragte, ob wir Dich nicht übers Wochenende besuchen könnten. Was meinst Du? Oder arbeitest Du mal wieder sieben Tage in der Woche?
So, jetzt mache ich Schluss. Ich bin todmüde und lege mich ins Bett.
Küsse über Küsse von Deinem Engelchen
Engel nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee. Die sachliche E-Mail war typisch für seine Frau. Nur der Schluss erinnerte an die aufregenden und gefühlsgetränkten Briefe, die sie sich in den ersten Monaten geschrieben hatten. Trotzdem störte ihn etwas. Er las die Mail ein zweites Mal. Natürlich! Es fehlte etwas. Er hatte nach seinem Bruder gefragt, und Angela ging nicht auf diese Frage ein. Das war ungewöhnlich, denn sie hatten seit ihren ersten Tagen eine klare Abmachung. Damals waren sie so von ihren Gefühlen übermannt worden, dass sie ihnen seitenlang Ausdruck verleihen mussten. Angela sollte genau wissen, was er für sie empfand und wann und wo er in welchem Zusammenhang an sie gedacht hatte. Ihr ging es genauso, und so vergaßen sie oft, auf Fragen einzugehen, die der andere gestellt hatte. Ihre Briefe hatten mehr einen autistischen als kommunikativen Charakter. Nach einigen Wochen fiel ihnen auf, dass sie trotz regen Briefverkehrs – mindestens ein Brief pro Tag – auf keine ihrer Fragen Antworten bekommen hatten. Also vereinbarten sie eine Regel: Wurde in einem Brief eine Frage gestellt, musste der Adressat sie unbedingt beantworten. Am Anfang mussten sie die Einhaltung dieser Regel noch häufiger einfordern, bald war sie ihnen aber in Fleisch und Blut übergegangen. Fragen blieben niemals unbeantwortet. Bis heute. Engel öffnete den Ordner «Gesendete E-Mails» und las seinen gestrigen Brief. Er hatte sich nicht getäuscht. «Wie geht es Thomas? Hast Du etwas von ihm gehört? Hat er unseren Disput gut verdaut?»
Drei Fragen und keine beantwortet. Konnte es sein, dass Angela ihn nicht beunruhigen wollte? Möglich, allerdings unwahrscheinlich. Sie wusste, dass ihr Schweigen ihm zu denken geben würde. Eher hätte sie ausweichend geantwortet. Engel hatte einen anderen Verdacht. Sie hörten nicht nur Telefonate ab, sie lasen auch die E-Mails der Teammitglieder. Wütend sprang er vom Schreibtisch auf und griff zum Telefon. Eine Sekunde später hatte er sich im Griff und unterdrückte den spontanen Impuls, Henderson anzurufen und ihm mit der Beendigung seiner Mitarbeit zu drohen. Der Virus, der mit jeder spannenden Entdeckung einherging, hatte ihn infiziert. Außerdem war es vielleicht ganz gut, wenn der Engländer glaubte, er sei ahnungslos.
***
«Beruhige dich, Thomas!»
Angela hatte ihren Schwager noch nie so aufgewühlt erlebt. Um sieben Uhr am Morgen ‒ sie hatte noch tief und fest geschlafen ‒ sprach er ihr das erste Mal auf den Anrufbeantworter.
«Bitte, ruf mich an. Es ist wichtig.»
Was konnte bei Thomas so wichtig sein, dass es nicht bis nach dem Frühstück Zeit hatte? Angela stand unter der Dusche, es war bereits halb zehn, als Thomas erneut anrief und wieder nur der Anrufbeantworter ansprang.
«Bitte, Angela, ruf an. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um Wolfram.»
Warum machte er sich Sorgen um seinen Bruder? Mit nassen Haaren, ein Badetuch um den Körper geschlungen, wählte sie seine Nummer. Bereits beim ersten Klingeln hob er ab.
«Angela, endlich!»
Anschließend erzählte er ihr, dass er seit gestern Abend erfolglos versuche, Wolfram zu erreichen. Ob sie wisse, wo er sei und warum er sein Handy abgeschaltet habe. Er klang gehetzt und übernächtigt und ließ sich auch von ihrer sanftesten Stimme, zu der sie um diese frühe Tageszeit fähig war, nicht beruhigen.
«Er ist in London, und es geht ihm gut. Er hat mir gestern Abend eine E-Mail geschickt.»
«E-Mail? Warum hast du nicht mit ihm telefoniert?»
Thomas klang, als ängstige ihn diese Nachricht noch mehr.
«Du weißt doch, dass er an dieser Henderson-Sache mit dem Grab arbeitet. Der verrückte Engländer glaubt wohl, einen richtig großen Coup gelandet zu haben. Damit niemand zu früh davon erfährt, wohnen sie alle zusammen in einem Haus, und da gibt es keinen Handyempfang.»
«Okay, okay», Angela hörte, wie Thomas tief durchatmete, «wenn mein Bruder sich bei dir meldet, sag ihm, dass er mich unbedingt anrufen soll. Es ist wirklich wichtig, hörst du! Der Vatikan ist auf die Sache aufmerksam geworden, und das könnte für uns alle unangenehm werden.»
Angela war sicher, dass
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