Das kalte Gift der Rache
die beeindruckende Einfahrt aus Naturstein und all die bunten Weihnachtslämpchen auftauchten, die Cedar Bend Lodge in ein Winterwunderland verwandelten. Die Anlage war wirklich gigantisch, Stein gewordener Ausdruck von Blacks Lebensmaxime, die da lautete: Nicht kleckern, sondern klotzen. Ich hörte leise die Klänge des »Mexikanischen Huttanzes« aus meiner Tasche, brachte den Humvee zum Stehen und klappte das Telefon auf.
»Detective Morgan? Hier ist … Willie Vines.«
Ich sah zu Black und sagte: »Ach, Willie, du, hast du mir was zu sagen?«
Schweigen. Ich hörte auf das Rubbel-Flopp, Rubbel-Flopp der Wischer. Meine Spannung stieg ins Unermessliche. Vielleicht war das ja der alles entscheidende Durchbruch.
»Willie? Bist du noch da?«
»Ja, aber … ich hab echt Angst.«
»Warum?«
»Ich weiß Sachen, die bringen mich um. Er bringt mich um, wenn ich was sage.«
»Wer? Sag mir wer, Willie?«
»Was wenn er davon erfährt?«
»Wir sorgen für deinen Schutz. Du musst uns nur die Wahrheit sagen. Wo bist du denn jetzt? In der Akademie?«
»Nein. Nach dem Gespräch mit Ihnen bin ich gegangen.« Noch leiser. »Ich bin ganz durcheinander.«
»Wo bist du? Wir können uns treffen. Auf ein Gespräch unter vier Augen.« Ich sah zu Black. Er wirkte interessiert. Oder vielleicht doch verärgert.
»Es gibt einen Ort, den niemand kennt außer mir. Da bin ich manchmal.«
»Jetzt auch?«
»Ja.«
»Sag mir, wie man da hinkommt.«
»Kennen Sie den Highway 5, an diesem alten Schulhaus vorbei, das jetzt ein Museum ist, und dann weiter. Genau in dieser Richtung. Auf dem Briefkasten ist ein Fisch, Sie wissen schon, das Symbol für Jesus Christus.«
Ich runzelte die Stirn. Seltsam. »Okay, bleib, wo du bist. Sprich mit niemandem. Ruf niemanden an und lass niemanden rein.«
Ich klappte das Telefon ein. »Willie ist bereit, zu singen. Kommst du mit?«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
Ich rief Bud per Schnellwahl. Es klingelte zweimal, ehe er abnahm. »Wo bist du?«
»Brianna hat mich auf einen Kaffee reingebeten.«
Was heißen sollte, er verbrachte die Nacht mit ihr. »Willie Vine ist bereit auszupacken. Black und ich sind schon unterwegs.«
»Mist. Jetzt?« Bud war nicht begeistert. »Wo?«
Ich beschrieb es ihm, machte einen U-Turn auf der Straße und düste wieder raus.
Black sagte: »Langeweile kommt mit dir keine auf, Detective. Wie sieht’s aus? Könnte das eine Falle sein?«
»Gut möglich. Für Joe McKay ist Willie bereit, alles zu tun. Er hat Angst vor ihm. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als McKay plötzlich vor uns stand.«
»Was ist der Grund dafür?«
»Genau das will ich erfahren.«
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis wir den richtigen Briefkasten fanden, wobei kein Verkehr herrschte, mit Ausnahme weniger Fahrzeuge, die von irgendwelchen Partys nach Hause schlitterten. Das Wetter spielte weiter verrückt, aber der Humvee war wie unser persönlicher Schneepflug.
»Da ist er. Sieht so aus, als hätte er den Schnee heruntergewischt, damit wir ihn besser sehen.«
»Vielleicht hat er uns von hier draußen über sein Handy angerufen.«
Eine Fußspur führte eine dicht von Bäumen gesäumte Straße entlang. Auf beiden Seiten schlugen uns Zweige und Äste entgegen.
»Mann, pass auf den Lack auf.«
»Tschuldigung.«
Nach einer halben Meile sahen wir das Haus. Es war sehr alt, ein typisches Farmhaus inmitten von verschneiten Feldern. Sämtliche Lichter brannten. Ich fuhr neben einem alten klapprigen Chevy Pick-up vor, stellte den Motor ab, ließ aber die Scheinwerfer an, um den Eingang zu beleuchten. Die Tür war nur angelehnt. Mein sechster Sinn rotierte.
»Mir gefällt das nicht.«
»Mir auch nicht.«
»Willst du auf Bud warten?«
»Nein.«
»Vielleicht solltest du aber.«
Ich stieg aus und zückte meine .38er. Meine Stilettos versanken im Matsch und ließen die Zehen gefrieren. Der Schnee hatte sich inzwischen in Eisgraupel verwandelt, die gegen den Humvee hagelten. Der Motorlüfter lief an. Sonst war alles still. Black stieg auf der anderen Seite aus. Zu meinem Erstaunen zog er seine .38er hinter dem Rücken hervor.
»Du bist bewaffnet?«
»Ja, sicher ist sicher. Das weiß ich spätestens seit letztem Sommer.«
Ich sagte: »Hier ist was oberfaul.«
»Wie meinst du das?«
Auf dem Weg zur Haustür verliefen viele Spuren, in beide Richtungen und die Treppe hinauf. Ich blieb stehen und lauschte. Totenstille. Ich zog den Saum meines Kleids nach oben und stopfte ihn unter den
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