Das kalte Gift der Rache
meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
Mir wurde schlecht, als ich daran dachte, dass Classon zwei, drei Tage lang in diesem Schlafsack mit diesen Spinnen gefesselt gefangen war. Er wurde zu Tode gefoltert, und der Typ, der das getan hatte, sollte dafür büßen. Mein Drang, ihn zu schnappen, war so groß, dass ich ihn fast schmecken konnte. »Haben Sie überhaupt jemals einen tödlichen Spinnenbiss gesehen, Buckeye?«
»Gelegentlich, wenn der Betroffene es aus irgendeinem Grund nicht schafft, ins Krankenhaus zu kommen. Aber die Fälle sind selten. Schlangenbisse verursachen mehr Todesfälle, aber auch die sind selten.«
»Ist die Braune Einsiedlerspinne hier am See weit verbreitet?«
»Klar. Wahrscheinlich kommen sie in jedem Haus in Missouri vor. Sie verstecken sich gern an dunklen Stellen, wo man sie nicht sieht, deshalb ihr Name. Die meisten Menschen werden gebissen, wenn sie Sachen von einem Speicher anziehen, auch Schuhe. Die Biester verstecken sich gern in alten Schuhen. An einen Fall erinnere ich mich, da kam ein drei Monate altes Mädchen zu Tode, als die Mutter den Kinderwagen aus dem Keller holte. Dass da ein ganzes Nest Brauner Einsiedlerspinnen drin war, hat sie nicht gesehen, nur ein paar Bisse später, aber die reichten, um das Baby zu töten.«
»Mist.« Bud schüttelte den Kopf und sah mich an. Ich wusste nicht, was er dachte, aber ich würde von nun an meine Schuhe ausschütteln, ehe ich sie anzog.
Buckeye öffnete die Leiche mittels Y-Schnitt, aber ich hatte zu viele Obduktionen gesehen, als dass ich dabei weiche Knie bekommen hätte. Eine Sache würde ich jedoch nie vergessen, und zwar als Simon Classon die Augen aufgemacht und mich angesehen hatte, das Gesicht blau, starr und teilweise gefroren. Ich fragte mich, ob er mich wirklich gesehen hatte, ob er gewusst hatte, wer ich war, ob er versucht hatte, die Lippen zu bewegen, um mir zu sagen, wer es getan hatte. Er war ein Mann, der andere Leute gern drangsalierte, aber dieses Mal hatte er jemanden zu arg drangsaliert. Jemanden, der eine Schraube locker hatte, aber was soll’s. Es bestand die Chance, den Fall zu lösen. Immerhin hatten wir an die Hundert Verdächtige zur Auswahl.
Im Anschluss an die Obduktion lud Charlie mich ein, das kurze Stück zur Wache mit ihm mitzufahren, was ich wohlweislich akzeptierte, und auch seinen wüsten Redeschwall, den Mörder zu schnappen, ehe er erneut zuschlug, ließ ich brav über mich ergehen. Meine Ohren waren zwar taub von der Fahrt, aber ich hatte überlebt und half nun Bud dabei, Simons Computer aufzustellen; dann tippte ich meinen schriftlichen Bericht, den zufälligerweise Charlie auf seine nette Art auch erwähnt hatte. Ich hätte nun so gern meinen Explorer dabeigehabt, aber als es wieder stark zu schneien begann, packten wir beide etwas Arbeit ein, und Bud brachte mich nach Hause.
Ich hatte Harve versprochen, zum Abendessen bei ihm vorbeizuschauen, also bat ich Bud, an einem großen Einkaufszentrum in Camdenton haltzumachen und mir beim Aussuchen eines Weihnachtsbaums zu helfen. Harve war ein richtiger Weihnachtsfan, und in den letzten Jahren war es Tradition geworden, dass ich ihm ungefähr eine Woche vor dem Fest einen Baum besorgte. Vor Harves Einfahrtstor half mir Bud, den Baum aus seinem Bronco herauszuwuchten; dann sagte ich ihm, er könne abdüsen, ich würde den Rest des Wegs allein nach Hause gehen. Ich würde gern durch tiefen Schnee stapfen, behauptete ich, was eine Lüge war, aber ich wusste, dass es ihn nach Hause zog.
Harve erwartete mich bereits an der Tür. Er war jetzt knapp über fünfzig, hatte graue Augen und dazu passende Haare, die er millimeterkurz trug, was ihm ein militärisches Aussehen verlieh.
Er saß in seinem schicken Motorrollstuhl, und ich beugte mich hinunter und umarmte ihn. Er war ein guter Kerl, mein bester Freund auf der ganzen Welt, und er war von der Hüfte an abwärts gelähmt, aber stark wie ein Pferd. Täglich stemmte er Gewichte, und im Bankdrücken konnte er es mit jedem meiner Kollegen aufnehmen. In L.A. waren wir früher einmal Kollegen gewesen, und ich fühlte mich schuldig dafür, was ihm passiert war. Als ich den Baum ins Haus schleppte, versuchte ich, nicht daran zu denken. Weihnachten stand vor der Tür, das Fest der Liebe und des Friedens. Da war kein Platz für Spinnen und Schlafsäcke und Nekrose. Ho, ho, ho.
»Kommt Nick auch?«
»Nein. Black ist in Paris zusammen mit all diesen französischen Mädchen mit weißen Spitzenschürzchen
Weitere Kostenlose Bücher