Das kalte Gift der Rache
ich lieber so schnell wie möglich abstellen.
Aus meiner Handtasche erklang gedämpft der »Mexikanische Huttanz«, und ich griff mir mein Handy mit mehr Begeisterung, als ich es zuzugeben bereit war. Ich erwartete Blacks Anruf und wusste, dass er es war, noch bevor die vertraute tiefe Stimme ertönte.
»Vermisst du mich, Morgan?«
Mein Herz vollführte einen kleinen Freudentanz, was ich unverzüglich als dumme Gefühlsduselei abtat. »Du meinst, ich sehe dich nicht wieder?«
»Vielen Dank.«
»War nur ein Witz. Klar vermiss ich dich. Hier ist sonst niemand, der mein Haus verschönert und mich mit Gourmetfutter verwöhnt.«
Harve lachte und krabbelte dann spinnenartig mit den Fingern, während er auf seinen Computer in der Glasveranda nebenan wies. Ganz Gentleman wie immer, ließ Harve mich mit Black am Telefon allein.
Black sagte: »Alles okay mit dir?«
»Ja, ich bin bei Harve. Wir essen zu Abend und stellen dann den Christbaum auf.«
»Da wäre ich gern dabei, um zu helfen.«
»O ja, das wär schon.« Zum ersten Mal vermisste ich ihn wirklich, aber ich hätte mich allzu verletzlich und damit irgendwie dumm gefühlt, wenn ich das zugegeben hätte, also sagte ich: »Ich höre Musik im Hintergrund. Wo bist du?«
»Ich sitze beim Dinner im Crazy Horse Saloon.«
»Wirklich? Ist das nicht der Laden mit den nackten Mädchen, von dem du mir erzählt hast?«
Black lachte tief. »Sie sind nicht ganz nackt. Der Besitzer des Ladens ist ein alter Freund. Eine seiner Tänzerinnen hab ich mal behandelt, und von daher ist das gemeinsame Dinner am ersten Abend in der Stadt so eine Art Tradition.«
»Mm-hmm. Klingt nach jeder Menge Spaß.« Und es klang so, als hätte ich was dagegen, was mich als der letzte Trottel dastehen ließ.
»Nun, ich war bis jetzt in der Klinik. Der Patient hat Flashbacks bekommen, was alle ein bisschen nervös macht.«
»Welche Flashbacks denn?«
»Blutige Mordszenen.«
»Kein Witz?«
»Kein Witz. Nun stellt sich die Frage, ob sie eingebildet sind oder wahr.«
»Klingt interessant.«
»Ist es auch. Was ist mit dir? Der Direktor hat mich heute wegen Classons Tod angerufen. Er hat alle Beiratsmitglieder informiert.«
»Ich weiß. Er ließ uns warten, während ihr miteinander gesprochen habt. Ich hoffe, du hast nicht erwähnt, dass ich den Fall mit dir diskutiert habe.«
»Das weißt du doch. Er meinte, Classon hätte sich erhängt.«
»Stimmt nicht ganz. Hör zu, Classon wurde an einem Baum aufgeknüpft, und zwar gefesselt in einem Schlafsack voller giftiger Spinnen.«
Schweigen am anderen Ende der Leitung. Ich hörte die schwungvolle Musik im Hintergrund und fragte mich, was die Tänzerinnen anhatten, möglicherweise nicht viel mehr als ein paar farbige Lichteffekte. Vielleicht sollte ich ja damit meinen Lebensunterhalt verdienen, anstatt Obduktionen beizuwohnen und halbtote Leichen aus Bäumen zu holen.
»Das ist kein Witz, oder?«
»Durchaus nicht. Ziemlicher Hammer.«
»Gibt’s Hinweise?«
»Bis jetzt haben ihn alle, die mir begegnet sind, wie die Pest gehasst. Es gibt also viel zu tun.«
»Der Direktor sagte mir, sie wollten bei ihrer Fundraising-Gala am Silvesterabend eine Gedenkminute für Simon einlegen. Er wollte wissen, ob ich daran teilnehme.«
»Okay.«
»Du fehlst mir.«
Ich sah nach, ob Harve mich hören könnte. Der war über seinen Computer gebeugt, und ich flüsterte leise, man weiß ja nie: »Du fehlst mir auch.« Tatsächlich hatte ich bis jetzt kaum Zeit gehabt, ihn zu vermissen, aber mir war klar, dass das schon noch kommen würde, wenn ich erst einmal in dem riesengroßen neuen Kingsize-Bett liegen würde. Aber was, wenn unter der schwarzen Satinbettwäsche Spinnen auf mich lauerten?
»Gut, das zu hören.«
»Wann kommst du zurück?«
»Ich meine am Dreiundzwanzigsten, aber genau kann ich’s nicht sagen.« Er hielt inne. »Hast du schon Pläne für den Weihnachtsabend?«
»Wahrscheinlich werde ich arbeiten.«
»Aber nicht länger als bis Mitternacht. Den Weihnachtstag möchte ich mit dir zusammen verbringen.«
»Klingt gut.« Klang tatsächlich gut für mich. Die Musik im Hintergrund wurde immer lasziver, dazu jede Menge Applaus und Männerlachen, und ich versuchte, mir nicht vorzustellen, wer da gerade auf der Bühne was machte.
»Warst du schon zum Brunch auf dem Eiffelturm?«
»Würde keinen Spaß machen, ohne dich damit zu beeindrucken.«
»Nun versuch mal, rauszukriegen, ob dein Patient Jack the Ripper ist, und dann komm schleunigst nach
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