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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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verbrannter Erde, sondern eine ein für alle Mal feststehende Ordnung, die kaum jemals etwas Beunruhigendes von sich gibt, die einfach nur da ist, mit Selbstverständlichkeit fortwirkt und all das bestimmt, was einem dann schließlich auf weiten Umwegen die Luft abschnürt.

Abb. 3

Ein großer Teil des im Schwarzwald, im Südwesten des Landes, gefällten Baumbestands, wurde zur Zeit, als das holländische Königreich noch eine Seefahrernation war und für den Schiffbau mehr Holz benötigte, als in den eigenen Wäldern geschlagen werden konnte, in großen Mengen gesammelt, aufwendig zusammengeschnürt und vernagelt, als sich selbst verschiffende Fracht auf Neckar und Rhein in Richtung Meer zu Wasser gelassen und ins Ausland verkauft. Auf den so entstehenden Riesenflößen wurden für die Dauer der Fahrt kleine Dörfer errichtet. Herrenhütten für Floßführer und Steuermann, eine Küchenhütte für den Floßkoch, manchmal gab es auch einen Viehstall. Die einfach gezimmerten Unterkünfte für die Flößerknechte, die den ganzen Weg den Fluss hinab auf den glitschigen Stämmen hin und her laufen und dafür sorgen mussten, dass alles beisammenblieb und sich nichts an den Uferböschungen und Talschlingen verkantete, die zum Lenken und Anstoßen lange Stäbe immer wieder ins Flussbett rammten, herauszogen, anderswo hintrugen, durften als Teil der Entlohnung im Zielhafen abgerissen und von den Knechten auf eigenen Gewinn verkauft werden. Ein Holzknecht, der an so einem mehrwöchigen Großtransport teilnahm, verdiente für seine Verhältnisse wohl ein relativ gutes Geld.
    Solange die Flüsse befahrbar waren und Schiffe gebaut wurden, weil Schiffe versanken, fuhren die Flöße in den Norden. Man sprengte Gefahrenstellen aus der Route, und nur wenn im Winter die Wasserwege zugefroren waren, musste für einige Zeit von allen Seiten ein wenig Geduld aufgebracht werden. Man konzentrierte sich dann auf das Zusammentragen, das Schnüren und Verbinden und Vernageln der langen Stämme, die Knechte bauten an ihren Hütten und den Hütten der Vorgesetzten und halfen aus bei den Säge- und Transportarbeiten im Wald.
    In einem solchen besonders kalten Winter rollt ein Baumstamm die Böschung hinunter auf den vereisten Neckar. Ein Holzarbeiter namens Friedrich Link wird ausgewählt, ihn wieder zurück an Land zu holen. Er bricht dabei ein, treibt unter der Eisdecke ein Stück stromabwärts und kann erst nach sorgfältiger Suche und großen Anstrengungen wieder an Land geholt werden. Friedrich Links Herz und Nerven nehmen dabei großen Schaden. Er kann seine Arbeit nicht mehr ausführen wie bisher, wird unter einem Vorwand entlassen und findet später nur noch eine Anstellung in der Stadtverwaltung, wo er ein paar Jahre am Schreibtisch sitzt, vor Zetteln und Rechenmaschinen, oft aus dem Fenster sieht, auf den Marktplatz und das Kopfsteinpflaster und schleichend verdämmert, bis er schließlich, drei Jahre nach dem Einbruch in die Eisdecke, in fortgeschrittener seelischer Zerrüttung und Verwirrung an einem Herzversagen stirbt. Er hinterlässt nach seinem Tod eine Frau und zwei Kinder, seine siebenjährige Tochter Rosina und den dreizehnjährigen Ziehsohn Louis.
    Louis, dessen leiblicher Vater ein nur für kurze Zeit in der Gegend stationierter Soldat gewesen war, von dem mittlerweile auch keiner mehr sagen konnte, wohin es ihn verschlagen hatte, sage ich zu Richard, ging nach einer abgeschlossenen Tischlerlehre auf lange Wanderschaft, von der er dann nie mehr in seinen Heimatort zurückgekehrt ist.
    Er lief nach Straßburg im Elsass, nach Freiburg im Breisgau, quer durch die Schweiz, nach Bern und Luzern über Vechingen und Worb, Grosshöchstetten, Langnau im Emmental, Escholzmatt, Schüpfheim und Malters. Und als das deutsche Militär ihn zum Dienst einziehen wollte, die Schweizer Behörden bat, ihn zu verhaften und auszuliefern, sobald er irgendwo einen Wohnsitz anmelden oder eine Arbeit aufnehmen wollte, bestieg er ein Schiff, fuhr über den Atlantischen Ozean nach New York, lief von New York durch die Staaten Pennsylvania, Ohio und Indiana nach Chicago in Illinois, wo er wieder im holzverarbeitenden Gewerbe eine Arbeit fand und im Alter von nur zweiundzwanzig Jahren an einer Explosion in seinem Gesicht starb.

Während ich noch zwischen den Kasernenbauten stand, zeichnete sich über dem Ort bereits der gelblich fahle Widerschein der Straßenbeleuchtungen ab. Dem musste ich folgen, für eine halbe Stunde vielleicht die Zufahrtsstraße

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