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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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kalt ins gut geheizte Haus wehte, offensichtlich interessiert daran, wie es jetzt weitergehen würde. Nach einigen Momenten der Stille, in denen ich wieder die unvertraut rauschende Brandung hörte, fragte ich ihn, ob ich nicht vielleicht trotzdem reinkommen dürfte, ich sei heute Abend hier schließlich am Ziel einer sehr langen Fußreise angekommen.
    Der Junge ging weg von der Tür, ohne sie aber hinter sich zu schließen. Ich hörte die gedämpften Schritte seiner Socken auf dem Flurteppichboden. Er stampfte mit den Fersen auf beim Laufen. Dann ging ich endlich selbst rein ins Elternhaus, in eine Wärme, die mir sofort die Augenlider zudrücken wollte.
    Ich zog meine Stiefel aus, meinen Rucksack und den Mantel, hängte Mütze und Schal an einen Haken an der Garderobe, ging den Flur entlang, sah, als ich an der Treppe zum oberen Stock vorbeikam, dass dort Licht brannte, ging aber geradeaus durch die offen stehende Wohnzimmertür, schaute mich um im Vertrauten, erkannte alle Möbel, sie standen wie immer, die beiden Couchen, der niedrige Tisch, der Teppichboden, die Deckenlampen, Figuren auf den Fensterbänken, der eiserne Holzofen, den meine Eltern nachträglich hatten anschließen lassen an den Kamin, weil ihnen die Feuerwärme so viel besser gefiel als die aus den Heizkörpern. Ein paar aufgeschichtete Holzscheite loderten ohne Geräusch. Daneben der alte Windelkarton, schon tausendmal mit Paketklebeband umwickelt, den sie immer die Heizerkiste nannten, mit dem man in den Keller gehen und von dort unten Brennholz heraufholen konnte und ein paar alte Zeitungen aus dem Altpapier. Die dunkle Eckbank mit den etwas schmuddlig gewordenen Sitzkissen, der Esstisch, der viel zu groß war für zwei Personen und auf dem immer Zeitschriften herumlagen, eine Schale mit alten Batterien, ein paar Gummibänder, Werkzeug, eine dicke Kerze, in der der Docht schon weit heruntergeschmolzen war.
    Von den Stiefeln befreit quollen meine Füße jetzt auf dem warmen Teppichboden auf, und in den Gelenken fühlte es sich an, als hätte ich nur noch eine sehr begrenzte Anzahl von Bewegungen übrig, bevor sie für immer steif würden.
    Ich konnte den Jungen erst nicht mehr finden zwischen den Möbeln meiner Eltern, das Licht war schummrig, anscheinend hatte jemand aus allen Lampen im Haus die Glühbirnen rausgedreht und durch sehr viel schwächere ersetzt. Ich schaute in die Winkel und wurde etwas übellaunig, weil ich zum Suchen viel zu müde war, fasste die Couch an ihrer Rückenlehne an, sie war unheimlich weich unter meinem Griff.
    Halb vom Durchgang zur Küche verdeckt sah ich dann den Jungen von hinten, der ganz geräuschlos mit etwas auf der Arbeitsplatte hantierte. Auf der schwarzen Dunkelheit vor den Fenstern spiegelte sich der Raum, ich sah mich neben der Couch stehen und die Rückenlehne in der Hand halten, mit rotem Gesicht und in ganz schlechter Haltung. Ich sah in der Spiegelung den kurzen Weg um die Couch, wattig unscharf die Polster und Kissen, ging spiegelverkehrt und trotzdem richtigherum auf die andere Seite, legte mich hin und schlief sofort ein.
    Als nämlich der laute Knall, den die Explosion in Louis’ Gesicht verursacht hatte, auf den Gefängnisfluren verhallt war, hörte man, nach einer sehr kurzen, dafür aber absoluten Stille, das hektische Laufen und Rufen der Wärter, die Zellentür wurde aufgeschlossen, der Gefängnisarzt gerufen, Louis von seinem Bett aufgehoben, in ein Laken eingewickelt und ins Krankenzimmer getragen.
    Die anschließende Untersuchung ergab, dass gut die Hälfte seines Gesichts bei der Explosion herausgesprengt worden war. Eine Hängung am nächsten Tag, hieß es, könnte aufgrund des fehlenden Unterkiefers des Häftlings etwas umständlich werden. Man beschloss aber, das Nachdenken über mögliche Lösungen dieses Problems auf den nächsten Morgen zu verschieben und so die Energie, die dafür aufgewendet werden müsste, für andere Aufgaben verfügbar zu halten.
    Nach einer Stunde etwa trafen der Journalist John C. Klein und ein Zeichner namens Edward Caring, der zur Dokumentation der Ereignisse aus seinem Schlaf geweckt und mitgeschickt worden war, im Krankenzimmer ein. Als Louis’ hin und wieder geöffnete Augen beim Umherwandern im Raum den Zeichner bei der Arbeit sahen, winkte er und zeigte solange auf den Mann, bis man schließlich verstand und ihm dessen Stift und Block zum Aufschreiben einer Nachricht reichte. Louis schrieb:
    Bitte anlehnen am Rücken. Wenn ich liege, kann ich nicht

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