Das Karpathenschloß
der Schulmeister voraussehen, daß die Schwierigkeiten des Weges dem Forstwächter nicht gestatten würden, das Plateau des Orgall vor Einbruch der Nacht zu erreichen.
Selbstverständlich mußte die schon tagsüber lebhafte Unruhe alles Maß übersteigen, als es schon acht Uhr am Kirchthurm von Vulcan schlug, was im Dorfe Werst ganz deutlich zu hören war. Was konnte geschehen sein, daß Nic Deck und der Doctor nach eintägiger Abwesenheit nicht wieder erschienen waren? Unter diesen Umständen wäre es Keinem in den Sinn gekommen, seine Wohnung aufzusuchen, bevor jene sich nicht wieder gezeigt hatten. Jeden Augenblick glaubte man sie schon an der Biegung der bergauf führenden Straße erscheinen zu sehen.
Meister Koltz und seine Tochter waren bis an die Stelle der Straße hinausgegangen, wo der Schäfer auf Wache ausgestellt worden war. Wiederholt meinten sie, sich Schatten in der Ferne unter den vereinzelt stehenden Bäumen am Waldesrand abheben zu sehen… leider eine Täuschung! Der Bergrücken blieb verlassen wie gewöhnlich, denn es kam nur selten vor, daß Leute von der Grenze sich während der Nacht dahin begeben hätten. Außerdem war es Dienstag Abend – der Dienstag der bösen Geister – und an diesem Tage zogen die Transsylvanier von Sonnenuntergang an schon allein nicht gern über Land. Nun mußte gerade Nic einen solchen Tag zu seinem Besuche der Burg wählen! In Wahrheit hatte freilich der junge Forstwächter mit keiner Silbe hieran gedacht, und im Dorfe obendrein auch kein Mensch.
Miriota dachte aber jetzt sehr ernst daran. Welch’ entsetzliche Bilder zogen da an ihrem Geiste vorüber! Sie hatte ja ihren Verlobten in Gedanken Stunde für Stunde begleitet, durch die dichten Wälder des Plesa bis hinauf zur Hochfläche des Orgall. Jetzt, wo die Nacht hereinbrach, erschien es ihr, als sähe sie ihn innerhalb der Burgmauer, wie er sich bemühte, den Geistern, die das Karpathenschloß in Bann hielten, zu entkommen. Er war ihrer Meinung nach zum Spielball der Zaubereien der Letzteren geworden… zum Opfer, das sie ihrer Rache darbrachten…. Vielleicht war er jetzt in schauriger unterirdischer Höhle eingesperrt…. Vielleicht gar schon todt….
Was hätte das arme Mädchen darum gegeben, den Spuren Nic Deck’s nacheilen zu können! Doch da sie das nicht konnte, wollte sie ihn wenigstens an dieser Stelle die ganze Nacht hindurch erwarten. Ihr Vater nöthigte sie jedoch, endlich mit nach Hause zu gehen, und während er den Schäfer zur Beobachtung zurückließ, erreichten Beide wieder schweigend einherziehend ihre Wohnung.
Sobald sie in ihrer Kammer allein war, ließ Miriota ihren Thränen freien Lauf. Sie liebte ihn ja von ganzer Seele, den wackeren Nic, und war ihm nur um so zärtlicher zugethan, weil sich der Forstwächter ihre Liebe nicht unter den gewöhnlichen Verhältnissen erworben hatte, unter denen die meisten Ehen hier in den transsylvanischen Provinzen in so wunderlicher Art und Weise zu Stande kommen.
Jedes Jahr am Johannistage wird hier nämlich eine sogenannte »Brautmesse« abgehalten. An genanntem Tage strömen aus dem Comitat alle jungen Mädchen zusammen. Sie kommen dann auf den besten, mit den schönsten Pferden geschmückten Wagen, auf denen sie ihre Aussteuer unterbringen, nämlich eigenhändig gesponnene, genähte und gestickte Kleider in großen Truhen von leuchtender Farbe. Die Familien, Freundinnen und Nachbarinnen geben ihnen dabei das Geleite. Ebenso finden sich die heiratsfähigen jungen Burschen ein, die seidene Schärpen um die Taille zu tragen pflegen. Auf dem Markte umherstolzirend, wählen sie sich die Dirne, die ihnen gefällt; dann übergeben sie dieser einen Ring und ein Taschentuch als Verlobungsgeschenk – und bald nach diesem Feste wird dann die Hochzeit ausgerichtet.
Auf einem solchen Markte war es also nicht gewesen, wo Nicolas Deck seine Miriota zuerst getroffen hatte; ihre Verbindung beruhte nicht auf einem Zufall. Beide kannten sich von Kindheit her und liebten sich schon von der Zeit ab, wo man eben zu lieben anfängt. Der junge Forstwächter war niemals zu einer solchen Brautmesse gegangen, um sich die zu küren, die einmal seine Braut werden sollte, und Miriota war ihm dafür herzlich dankbar. Ach, warum war Nic Deck aber ein so entschlossener, so zäher, um nicht zu sagen, starrsinniger Charakter, ein so unbedachtes Versprechen zu halten? Er liebte sie, liebte sie trotz alledem, und dennoch hatte sie nicht Macht genug gehabt, ihn von dem Wege nach
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